Crash 2019

Mein letzter System-Crash liegt einige Jahre zurück. Der hatte mich noch in Panik versetzt, denn ohne EDV und Zugang zum Web ist meine gesamte Arbeit blockiert, außerdem ein Teil meiner privaten Geselligkeit. Als es diesmal wieder geschah, machte es mir bloß noch Kummer, der sich eineinhalb Tage ausbreiten konnte.

Webzugang: vom verdichteten Flachbau zum Türmchen

Vor Jahren hatte mich Ewald Ulrich (Fokus Freiberg), ein versierter Unternehmer, aus dem Malheur geholt, in dem er die Steckverbindung fand, an der es klemmte. Diesmal war offenbar eine Systemdatei beschädigt, so daß Windows XP mitten im Hochfahren hängenblieb.

Auskenner wissen nun, Rechner und Betriebssystem sind alt. Sehr alt. Und wenn XP überhaupt nur mehr im Protected Mode hochkommt, dankt man seinem Schicksal auf Knien, daß man nicht noch zwei Terabyte Daten sichern muß, die sonst verloren gingen. Denn dieser Modus ist das Neandertal der EDV. Man fühlt sich wie in einem Ruderboot ohne Ruder. Auf einem windstillen See. Es ist quälend.

Ulrich hatte mir beim vorherigen Trouble Shooting erzählt, er müsse als Geschäftsmann bei einem kompletten Crash in der Lage sein, den Laden innerhalb eines Tages wieder zum Laufen zu bringen. Alles andere sei extrem geschäftsschädigend. Ulrich muß dabei freilich weit mehr als zwei Terabyte Daten vor Schaden und fremdem Zugriff sichern.

Ich trage meine Kleidung, bis sie kaputt geht. So halte ich es auch mit der Nutzung von Geräten. Nicht aus Gründen der Weltverbesserung, sondern weil ich verfügbares Geld lieber für Bücher und Wein ausgebe. Ferner ist es mir zuwider, dauernd neue Werkzeuge ins Haus zu schleppen Ich arbeite gerne zügig, was eine vertraute und bewährte Ausrüstung verlangt.

Aber man kann sich eben nicht unbegrenzt gegen den Lauf der Zeit stemmen. Immerhin hatte ich ein freundliches Schicksal, daß mich in einem kleinen, gut überschaubaren Zeitfenster aus dem alten Status herauskickte und in die Gegenwart stieß. Das kam wie eine kleine Lawine.

Es begann damit, daß sich Add-ons des etwas betagten Browsers abschalteten, worauf ich den Hinweis erhielt, daß nun nur mehr „zertifizierte Add-ons“ laufen würden, für die meine Software allerdings zu betagt war. Als nächstes fiel mein Modem aus und kappte so meinen Zugang zum Web. Der zuständige Mann im Fachhandel war recht erstaunt, als ihm mein Vertrag offenbarte, daß das Ding zwölf Jahre alt ist.

Damit wurde auch mein altes Smartphone fällig, das ich praktisch nie für Webzugänge genutzt hab, was sich für den Transfer in dem bloß einen zarten Gigabyte an verfügbarem Datenvolumen ausdrückte. Um Modi und Geräte geschmeidig zu aktualisieren, entschied ich mich für neue Verträge, wodurch ich erfuhr, daß es seit den Tagen, da mein altes Smartphone neu war, nun etwa die siebte Folgegeneration gebe.

Das führte an meinem Arbeitsplatz vom flachen Modem zum leuchtenden Funkturm. Mein neues Telefon stammt aus der Requisitenkammer zu einem Science Fiction-Film. Dann die krachende Software, wegen der die alte Maschine keinen weiteren Aufwand mehr lohnte. Allein die erste Fehlersuche und das Herumreparieren hatte so viele Stunden geschluckt, daß es nicht rentabel erschien, an der Stelle weiterzumachen.

Ich denke gelegentlich durchaus betriebswirtschaftlich. Da wären selbst bei einem mickrigen Stundenlohn von vielleicht brutto 20,- Euro jene 150,- Euro schnell verbraten, die es brauchte, um in einem Second Hand-Laden des Ortes einen gebrauchten Rechner zu beschaffen. Der flüstert nun vor sich hin und die Adaption meiner Software ist so weit gediehen, daß ich passabel arbeiten kann.

Ich staune, was da alles an Schrott vorinstalliert und eingerichtet ist. All die kleinen Dienstleisterchen und Helferlein, die Rechenkapazität fressen. Ich mußt auch erst einmal suchen, wo sich die Darstellung der Dateiendungen aktivieren läßt, denn es ist mir schleierhaft, wie Menschen entspannt arbeiten, ohne zu sehen, welche Dateitypen vorliegen. Sie wissen doch: .doc, .gif, .jpg, .mp3, .psd, .text etc. Naja, altbackener Kram, ohne den ich Orientierungsprobleme bekomme.

Ich ringe also mit meiner Gegenwart, um meine Zukunft bearbeiten zu können. Beachte ich die enorme Zunahme an Komplexität unserer Werkzeuge während des vergangenen Jahrzehnts, vermute ich, daß wir bei gleichbleibendem Entwicklungstempo aus dieser Komplexität herauskippen könnten. Ich brauche ja schon jetzt eine Menge Unterstützung durch Software, um mit der Software zurechtzukommen. Womöglich kommt der Tag, wo meine Werkzeuge mich wissen lassen: „Sorry, Kru! Du bist zu langsam und kapierst nichts. Wir machen jetzt ohne dich weiter.“

— [Netzkultur] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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