Wissenschafter Dirk Raith ist an der Uni Graz mit dem Thema „Nachhaltige Wirtschaft – Ethik und Transformation“ befaßt. In diesem Zusammenhang sieht er auch die professionelle Wissens- und Kulturarbeit unter anderem als ein Feld der Ökonomie im Gemeinwesen.
Das war der Anlaß für ein Gespräch, zu dem er nach Gleisdorf kam. Transformation! Innerhalb meiner Lebensspanne hat sich nun schon die zweite industrielle Revolution ereignet. Ein Kräftespiel, wie es in der Menschheitsgeschichte bis dahin noch nie vorgekommen ist. Eine globalisierte Wirtschaft bewegt uns alle und durch eine den Erdball umspannende Info-Sphäre erreichen uns von fast überall Nachrichten, was sich dort gerade tut.
Ich habe Haithem Benhassen gefragt, ob wir uns für dieses Gespräch in den Clubraum setzen dürfen, den er in seinem zentral gelegenen Barber Shop eingerichtet hat. Das ist ein junger Laden in der Gleisdorfer Bürgergasse. Ein schönes Beispiel dafür, wie sich Avantgarden des Blühens an jenen Orten bewähren, die davor unter strukturellen Veränderungen eingebrochen waren.
Das meint, nicht nur in Österreich, in Ganz Europa hatten die Ortszentren viele ihrer Funktionen an neuen Geschäftsstandorte in der Peripherie abgeben müssen. Dörfer und Städte wurden polyzentrisch. Diese in den alten Zentren verlorenen Funktionen konnten natürlich nicht zurückgeholt werden. Es mußten neue Aktivitäten Wirkung entfalten.
Im Kulturbereich haben wir vor rund zwei Jahrzehnten angefangen, mit Leuten aus der Architektur und der Stadtplanung etwa über shrinking cities zu reden, über Leerstände, über Umbrüche solcher Art.
Benhassen ist ein Beispiel für diese Avantgarden des Blühens an jenen Stellen, die von alteingesessenen Kräften wirtschaftlich aufgegeben worden sind. Da kommt dann mitunter eine andere Generation zu Wirkung und bietet etwas an, das es in der Gasse schon länger nicht mehr gegeben hat.
Als Künstler bin ich an solchen Entwicklungen interessiert, weil sie von Prozessen handeln, die auch meine künstlerische Arbeit bestimmen. Ich habe die Stadt stets als eine Erzählung empfunden. Da erzählt sich etwas selbst. Der gestaltete Raum als Narrativ: „Bedeutungszuweisung dessen, was man einem Ort und seinen Menschen zutraut, beeinflußt die Möglichkeiten des Areals, das zur Debatte steht. Image. Spirit. Der Ausdruck von Attraktion.“ (Quelle: Die Stadt – eine Erzählung. Mein Fokus)
Das stammt aus einem Projekt, in dem ich 2005 eine temporäre Spange zwischen Graz und Gleisdorf eingerichtet hab. Graz hatte damals schon starke Erosionen, etwa die wirtschaftlich sterbende Annenstraße. Auch Gleisdorf war von solchen Phänomenen und einigen kritischen Debatten bewegt. Ich hab in jenen Tagen notiert:
„Kein Stadtteil kann ausdauerndes Blühen erleben. Außer vielleicht, er ist der Standort erheblicher Machtkonzentration, die aus ihrer Umgebung laufend Mittel abzieht. Areale in den Zyklen wirtschaftlicher und sozialer Fluktuation sind dagegen immer wieder auf neue Avantgarden des Blühens angewiesen.“ (Quelle: Markante Positionen. Auffindbar und einnehmbar)
Es scheint mir, daß sich derzeit gute Gründe verdichten, solche Überlegungen nun auf der Höhe der Zeit erneut anzustellen. Nicht weil die Kunst selbst dafür angelegt wäre, denn eine Kunst als soziokulturelle Reparaturanstalt ist dubios. Eine Kunst um zu… ist meist keine. Aber die Kompetenzen aus der Befassung mit Kunst sind sehr gut geeignet, solchen Themen gewidmet zu werden. (Das erwähnte Projekt von 2005: „area8020_revisited“.)
— [Dorf 4.0: Stadt-Land] —