Ich hab eben das „Büro für Pessi.mismus“ besucht. Da ist ein Kalenderblatt. Das zeigt keinen Zeitpfeil, sondern ein Koordinatensystem. Hier haben Petra Lex und Nikolaus Pessler Momente notiert, die als gesicherte historische Daten gelten. Dann ist da eine erste Serie an Gemälden von Pessler, die sich auf einen Teil dieser Daten beziehen.
Ab nun wird Schicht um Schicht aufgeblättert. Ein zweites Kalenderblatt stellt es den Betrachtenden frei, Daten von persönlicher Bedeutung einzutragen. Das darf sich auf den weiteren Prozeß auswirken.
In dieser grundlegenden Anordnungen sind Schnittstellen bereitet, über die Petra Lex darauf achtet, wo bei kommenden Ausstellungs-Orten Einheimische eventuell mit Erlebnissen, Erfahrungen, Eindrücke andocken möchten.
Das bedeutet, was im Projekt „The Flying Circus“ nun einen Auftakt mit dem Thema „100 Jahre Republik Österreich“ hat, ist als dynamische Prozeß angelegt. Es geht genau nicht darum, mit einem Stapel Bilder in einen White Cube zu rennen, eine herkömmliche Ausstellung zu hängen und eine Vernissage mit Ansprache plus Brötchen und kühlen Drinks abzuarbeiten.
Lex und Pessler setzen auf Kommunikation, auf reale soziale Begegnung. Der künstlerische Teil ist freilich ein Ensemble an Kommunikationsakten für sich. Doch genau da können Menschen dann mit ihren bevorzugte Medien hinzukommen. Sei es, daß jemand Fotos oder Dokumente mitbringt, einen Text verfaßt und einsetzt, etwas erzählt, sei es, daß jemand mit Lex und Pessler in ein gemeinsames Tun kommen möchte. (Das läßt sich arrangieren.)
Da ist vieles denkbar und manches machbar. Das heißt auch, der „Flying Circus“ kommt in Etappen zur Sache. So besteht ein spannender Kooperationsansatz für unser 2018er Kunstsymposion „Interferenzen“. Der Begriff steht allein schon für einige physikalische Phänomene, die zu erstaunlichen optischen Effekten führen. Siehe dazu den Text „Interferenzen“ (Das 2018er Kunstsymposion: ein Auftakt)! Doch er wirkt auch als Metapher.
Überlagerungen. Streuung. Das im Detail Unkontrollierbare in menschlicher Gemeinschaft. Die Mischtöne und die Mißtöne. Die hinter uns liegenden 100 Jahre sind in etlichen Bereichen von verstörendem Tempo und widerstreitenden Kräftespielen bestimmt. Es waren die ersten hundert Jahre unserer Gesellschaft nach dem Ende der Feudalzeit, als ein Adel von der Bühne abtreten mußte, der ein blühendes Reich versenkt hatte.
Die Untertanen hatten nicht viel Zeit, zu Bürgerinnen und Bürgern zu werden. Vielleicht sind genau das auch ein paar wesentliche Ursachen, um sich 1938 der Tyrannis anzudienen. Davon trennen uns gerade 80 Jahre. Ich gehöre zur ersten Generation nach diesem verbrecherischen Intermezzo. Quer durch die 1950er und 1960er Jahre durften wir in einem Ausmaß an Freiheit, Sicherheit und Wohlstand aufwachsen, wie es davor noch keine Generation in der Menschheitsgeschichte kannte.
Wir waren dabei vielfach die Kinder und Enkel von traumatisierten Menschen. Eine komplizierte Anordnung, empfindlich wie ein Mobile. Egal, wo man es berührt, das führt auch an allen anderen Ecken und Enden zu Bewegungen.
Da sich Europa gerade neu herausgefordert und in Frage gestellt erlebt, ist der neugierige Rückblick auf diese Ära naheliegend. Es wird gerade viel und gerne von Identität gesprochen. Das mündet eventuell in Fragen wie „Wer bin ich?“ „Was kann ich?“ „Worauf darf ich mich verlassen?“
Mögliche Antworten darauf hängen sehr wesentlich davon ab, welche Geschichten wir einander über dieses Jahrhundert erzählen. Ist dabei Antwortvielfalt sichergestellt?
— [Das 2018er Kunstsymposion] —
Ein Basismodus, der momentan zur Debatte steht:
+) Auftakt-Konferenz (Einladung an Menschen, die eine Teilnahme am Projekt erwägen)
+) Workshop mit Petra Lex (Erarbeitung von Beiträgen)
+) Präsentation und Ausstellung vor Ort