Ich bin in den letzten Jahren aus dem Numerieren gar nicht herausgekommen. Es hilft ein wenig, um in der großen Komplexität aktueller Umbrüche ein Koordinatensystem übers Bett hängen zu können, in dem sich einige Gedanken ordnen lassen.
Ich hab eben bei Christoph Prantner die Formulierung „Zweites Maschinenzeitalter“ aufgegriffen, was einen etwas weitläufigeren Raster ergibt. Die Formulierung gefällt mir. Es hat also nun die Vierte Industrielle Revolution diese Ära fundamentaler Veränderungsschübe eröffnet, wozu Prantner notierte: „Das ‚zweite Maschinenzeitalter’ stellt alte Gewissheiten infrage: Wir müssen neu über Broterwerb, Lebenssinn und Gesellschaftsvertrag nachdenken.“ [Quelle]
Vielleicht liegen genau darin einige Gründe für das Dritte Biedermeier (private Zuschreibung!), an dem sich derzeit nicht vorbeikommen läßt. Das erste, ist eine in der Geschichtsschreibung dargestellte Epoche des Vormärz. Das zweite empfanden wir in den 1970er Jahren, nannten es daher in meinem Milieu so. (Keine wissenschaftliche Kategorie!)
Dazu paßt, daß damals viele von uns aufbrachen, um ein soziokulturelles Phänomen zu entwickeln, zu erproben, zu etablieren, das man heute freie, wahlweise autonome Initiativenszene nennt. Für die grobe Orientierung mag das vorerst reichen.
Wir empfanden diesen Aufbruch sehr wesentlich als eine Reaktion auf die Biederkeit und den Druck, der seitens des Bildungsbürgertums auf uns proletarische Wesen spürbar war. Das drückte sich in Kategorien wie „Schmutz und Schund“ oder „E und U“ aus, auch in einer ostentativen Verachtung der Popkultur etc.
Nun also, rund 50 Jahre danach, ist ganz Europa besorgniserregend weit nach rechts gerückt. Die Neue Rechte hat mit ihren politischen Kräften die Gemeindestuben, Rathäuser und Parlamente erreicht, in Österreich neuerdings Anteil an der Regierung. Im regionalen Kulturgeschehen sind biedermeierliche Erscheinungen unübersehbar. Tendenz steigend. Aber zurück zu einigen markanten Zeitfenstern und ihren Inhalten, die uns heuer beschäftigen.
Anfang des 19. Jahrhunderts: Der Wiener Kongreß hatte getanzt und Metternich das Sagen; übrigens ein Mann, der zu Erzherzog Johann von Österreich ein eher angespanntes Verhältnis pflegte. Dieser Wiener Kongreß und der Große Krieg markieren das Zeitfenster 1814-1914, mit dem wir uns schon in zwei Kunstsymposien befaßt haben, nämlich 2013 und 2014.
Als Vormärz gilt die Zeit zwischen Wiener Kongreß und der Märzrevolution von 1848, die gezeigt hatte, daß Österreichs Bevölkerung kein Talent zu Rebellionen hat. (Seit Josef II. kamen die Reformen bei uns meist von oben, statt Bottom up.) Im darauffolgenden Dezember bestieg „Unser Kaiser Franz Josef“ den Thron. Ihm sollte es mit seinem Team gelingen, ein blühendes Land zu versenken, indem er einen kleinen Kolonialkrieg zuließ, der zeitlich und räumlich hätte beschränkt bleiben sollen, was gründlich mißlang. Ein wesentlicher Funke, den Ersten Weltkrieg zu entzünden.
Von 1848 bis 1938 zeigte Österreich keine ausreichende Kraft, das Biedermeierliche zu überwinden. Man könnte sagen, als mit den Nazi ein im Großen Krieg gehärtetes Spießertum zur Macht kam, erfuhren die Methoden des Vormärz einen Technologiesprung.
Davor hatte (rund um 1910-1913) die Zweite Industrielle Revolution gegriffen, eine Automatisierungswelle die Welt der Güterproduktion grundlegend verändert. Am 30. April 1945 nahm sich Adolf Hitler das Leben. Die Kapitulation der Nazi-Steitkräfte ist mit dem 8. Mai, 23:01 Uhr, vermerkt. Ein harter Anlaß, die Erfahrungen der Feudalzeit und der Tyrannis zu reflektieren, Schlüsse zu ziehen, um eine Demokratie auf der Höhe der Zeit zu entwerfen.
Ich kam rund ein Jahrzehnt danach zur Welt. Was ich eingangs als ein Zweites Biedermeier erwähnt habe, die 1970er Jahre, waren auch die Zeit der Dritten Industriellen Revolution, die wir als Digitale Revolution erlebt haben. Dazu kam: Ich bin ein Kind des Kalten Krieges. In einer bipolaren Deutung der Welt bedrohten sich die USA und die UDSSR in ihrem Ringen um Einflußsphären mit Overkill-Kapazitäten.
Ich sehe derzeit ein Revival des Kalten Krieges, wo etwa Syrien als prominenter Schauplatz dafür mißbraucht wird. Vor solchem Hintergrund erreichte mich gerade die Botschaft, ich möge mich für ein „Kaiserliches Hofpicknick im Kurpark“ interessieren, Teil des „Biedermeierfest Bad Gleichenberg“, wozu mir zwei Fotomodelle als Franz und Sisi daherlächeln.
Ein brüllender Beleg, in welcher Bewußtlosigkeit heute Österreichs Historie mancherorts vermarktet wird. So ein Event zu kreieren wäre eigentlich ein hinreißender Kabarettbeitrag, um sich über Österreichs Vergangenheit lustig zu machen, doch es ist ein seriös gemeinter Beitrag zu seiner Gegenwart.
Das wäre dann, unseren Geschichtsverläufen entlang, dem Zeitpfeil folgend, vielleicht kommendes Jahr so zu promoten: „Gestapo-Picknick in der Tiefgarage. Joseph und Magda Goebbels, mit ihren sechs liebreizenden Kindern das Urbild der traditionellen Familie, freuen sich auf Ihr Kommen.“
Wenn wir also heuer in unserem Kunstsymposion den Aspekt von „Interferenzen“ bearbeiten, dabei diese Zeitspanne 1918-2018 in einigen markanten Punkten berühren, tut sich eine Menge an Klärungsbedarf auf, der gerade vor uns liegt.