Ich habe kürzlich begonnen, einen Prozeß zu etablieren, der zum Jahresende hinführen soll, in das 2018er Kunstsymposion. Dieser Prozeß ist als Dialog zwischen mir und dem Photographen Richard Mayr angelegt. Das bedeutet unter anderem, es kommen Sprach-Codes und visuelle Codes in Wechselwirkung.
Den Auslöser dazu lieferte eine Photographie von Mayr, an die sich inzwischen weitere reihen. Wir werden nun quasi hinter der Bühne unser Thema finden und ausloten. Auf der Bühne, also augenblicklich primär in medialer Vermittlung, breite ich einige grundlegende Überlegungen aus.
Symbolisches Denken läßt uns über das hinausblicken, was wir für unseren Alltag als Konsensrealität kennen. Das ist übrigens keine esoterische Kategorie. Es besagt bloß, daß wir vor einigen tausend Jahren begonnen haben, Dinge zu denken, die es nicht gibt. Phantasie hat für die Spezies offenbar eine wichtige Bedeutung erlangt. Und wir denken natürlich nicht bloß in Worten, sondern auch in Bildern und Emotionen.
Ich weiß heute nicht einmal, was meine Großeltern vor wenigen Jahrzehnten zu wesentlichen Fragen ihres Lebens gedacht haben. Es ist dazu kaum eine Quelle erhalten, die sich deuten ließe. Wie können wir da wissen, was Menschen von zehntausend, vierzigtausend, vor sechzigtausend Jahren gedacht haben?
Darüber gibt es selbstvertsändlich nur Annahmen, die sich auf eine Deutung von Quellen stützen. Ich wiederhole diese Formulierung bewußt, weil ja auch das Ausdruck eben jenes symbolischen Denkens ist: Interpretation. Wir interpretieren, was wir sehen, was wir rezipieren. Dabei nützt es uns, daß wir schon über viele Jahre ästhetische Erfahrungen gemacht haben, also: Wahrnehmungserfahrungen. Das verändert den eigenen Blick, die Ansichten, es verändert die Vorstellungen von der Welt.
Falls jemand meint, ich hätte eben verlautbart, das Wasser sei naß, der Papst katholisch und der Himmel blau, darf ich darauf hinweisen: Das sind höchst komplexe Vorgänge im Menschen, die uns nur dann wie selbstverständlich vorkommen, als Fähigkeit fast schon banal, solange sie ungestört bleiben. Oft reicht ein Konflikt, der die Körperchemie verändert. Manchmal mag es ein Infekt sein, der die Körpertemperatur verschiebt. Schon fährt die eigene Wahrnehmung in eine andere Dimension.
Nein, unsere Wahrnehmung hat nichts Banales, ist keineswegs unerschütterlich und schon gar nicht auf „Normalität“ geeicht. Sie handelt von einem äußerst empfindlichen Fließgleichgewicht, das uns in eben dieser Empfänglichkeit für oft ganz feine Nuancen dann zum Beispiel befähigt, künstlerische Arbeiten zu entwickeln, die herzustellen einen selbst bewegen, deren Ergebnisse andere Menschen berühren können.
In diesen Dingen haben Mayr und ich wohl einige gemeinsame Quellen, aus denen wir schöpfen, um das dann jeweils in eine höchst unterschiedliche Lebenspraxis hinauszutragen und in völlig verschiedenen Kunst-Genres umzusetzen.
Dabei ist uns gemeinsam, daß wir die Kompetenzen, wie sie aus solchen Prozessen hervorgehen, nicht bloß der Kunst widmen, sondern auch angewandten Bereichen oder überhaupt ganz banaler Alltagsbewältigung. Das ist ein Merkmal dessen, was ich die Arbeit am ganzen Leben nennen mag. Da sind die Tätigkeitsbereiche nicht strikt von einander getrennt, sondern alles darf aufeinander Einfluß nehmen.
Noch ein paar Sätze zur vorigen Geschichtsbetrachtung. Der aktuelle Forschungsstand besagt, daß schon die Neandertaler über abstraktes Denken verfügt haben. Das belegen neue Funde, Höhlenmalereien, die mindestens 64.000 Jahre alt sind. Das heißt, mindestens seit damals setzt der Mensch auf eine kulturelle Symbolik, die nicht zur Mimesis dient, also etwa einer möglichst genauen Abbildung der Natur, einer getreuen medialen Wiedergabe der gemeinsam erfahrbaren Welt. Diese Symbolik eröffnet uns andere Welten.
Ich betone dazu auch gerne, daß die Evolution einfach spielt, aber nicht plant. Wäre demnach unser künstlerisches Potential bloß Zierrat, Beiwerk, Tand, die erwähnten 64.000 Jahre hätten der Evolution allemal genügt, um derlei Fertigkeiten des Menschen wieder abzuschaffen. Genau das tut sie nämlich, wenn diese oder jene Eigenart einer Spezies in ihrer Physis oder ihren Fähigkeiten unnütz geworden ist. Aber die Evolution hat diesen Bereich vertieft, verfeinert und seine Anwendungen offenbar breiter werden lassen. Ziehen Sie selbst Ihre Schlüsse daraus!
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