Die Edition: zweite Phase

Nun ist die zweite Phase der kleinen Publikationsreihe etabliert. Sie besteht teils aus real gedruckten Booklets, teils aus nur elektronisch verfügbaren Dokumenten. Beide Varianten sind jeweils im Austria-Forum veröffentlicht und da von überall her einsehbar. Manche der Booklets erscheinen also auch als Drucksorten und kursieren auf die herkömmliche Art.

Greifbar und wenigstens hundert Jahre einigermaßen verläßlich haltbar: Papier

Als inhaltliches Trägersystem besteht hier das Kuratorium für triviale Mythen. Ich habe es im Jahr 2010 konstituiert. Es ging mir damals um Zusammenhänge im Kontext „Vom Mythos zum Fetisch zur Kunst“. Daraus wurde inzwischen der Themenkomplex „Volkskultur, Popkultur, Gegenwartskunst“. Diese Arbeit war stets von kleinen Veröffentlichungen begleitet.

Die Online-Publikation hat den enormen Vorteil, daß ich sie bloß bis zur Druckvorstufe finanzieren muß und dann keine nennenswerten Kosten mehr anfallen, daß ich überdies nicht für Lagerraum sorgen muß. Außerdem ist diese weitreichende Verfügbarkeit der Inhalte, über Suchmaschinen auffindbar, ein großer Vorteil.

Ich schätze es sehr, daß ich heute allerhand Recherchen vom Schreibtisch aus erledigen kann, wo ich früher Bibliotheken in verschiedenen Städten aufsuchen mußte. Vor allem der einfache Zugriff auf Diplomarbeiten und Dissertationen, auf Zeitungs- und Bücherarchive, nützt mir viel. Aber ein Leben ohne Papier mag ich mir nicht vorstellen.

Ich bin ein Mensch der Gutenberg-Galaxis, den Büchern fast so heillos verfallen, wie Kien in Canettis „Die Blendung“. Mein Zuhause ist annähernd so sehr mit Papier beladen. Ich weiß, das erscheint manchen wie eine Verwüstung und ist doch mein Paradies. Das auf Papier gebannte Wissen bleibt nicht so leicht handhabbar, wie die Terabytes an Dateien in meinem Besitz. Aber es ist mir auf genau diese Art unverzichtbar, in diesem zähen Zugang, der in meinen Händen liegt.

Sperrig, Köperlich. Haltbar. Da brauche ich keinen Strom, keine Backups, müßte nur Hochwasser und Feuer fürchten, was aber fürs Elektronische gleichermaßen gilt. Und daß mir Bücher geklaut würden, habe ich noch nie erlebt. Von Einbrüchen bliebe mir da nichts zu befürchten.

Drei Arten, um Bildinformationen festzuhalten, innerhalb einer Biographie

Zu all dem, meine Palast der Papiere, fällt mir ein kleines Geschichtchen ein, an dessen Urheberschaft und genaue Zuordnung ich mich mehr erinnere. Auch für die betroffene Person kann ich mich nicht verbürgen. Es war vermutlich in Prag gewesen und ich tippe auf Egon Erwin Kisch. Ebenfalls ein Papiermensch wie ich und sein Redaktionsbüro von Papier schwer, das aus allen Fächern und Laden quoll, den Tisch bedeckte, lose, gebunden, Notizzettel, Zeitungen, Bücher, Akten, Fotografien.

Es waren Tage, als die Rüpel der SA ihre Landsleute terrorisierten und vor allem auf erkennbar gebildete Menschen losgingen, was derzeit offenbar wieder in Mode kommt. Die Braunhemden stürmten Redaktionen, verprügelten die Journalisten, verwüsteten die Büros. Als einer der Barbaren die Tür zum Büro von Kisch aufstieß, stutzte er, musterte kurz das Papier-Chaos und meinte: „Oh! Wir waren schon da.“

Papier, das aus allen Fächern und Laden quillt, die Tische bedeckt, lose, gebunden, Notizzettel, Zeitungen, Bücher, Akten, Fotografien. Das ist meine Welt, ergänzt um dieses kühle Extrazimmer der digital codierten Räume.

Wir kennen derzeit kein elektronisches Medium, das auch nur annähernd so dauerhaft seine Informationen erhält und unserem Zugriff verläßlich offen steht, wie es Papier kann. Informatiker Hermann Maurer (Austria-Forum) ist der Auffassung, wir lebten derzeit in einer Ära, die in weiten Bereichen undokumentiert bleiben werde. Weshalb? Weil ein großer Teil der Dokumente verloren gehen wird.

Das Problem unlesbarer Datenträger, da uns die entsprechenden Geräte abhanden kommen, kennen wir spätestens seit den 1950er Jahren. Ich erleb es seit den 1980ern, hab zwar noch einen ZIP-Drive für die einstmals sensationellen 100 MB-Disketten, aber die weichen 5,25-Zoll-Disketten sind bei mir bloß noch Artefakte einer versunkenen Ära, für die ich kein Laufwerk mehr besitze.

Festplatten sind unsicher, die Silberscheiben (CD & DVD) werden nach einiger Zeit zerfallen. Inzwischen scheint auch klar, daß der Dokumentenstandard PDF (Portable Document Format) fallen wird.

Ohne passende Laufwerke kein Zugriff auf die Daten

Meine Arbeit zielt nicht auf Ewigkeit, daher bleibe ich in diesen Fragen weitgehend unbesorgt, zumal ich schon die Erfahrung gemacht habe, daß manche meiner Publikationen erhalten sind, von denen ich heute nichts mehr zu wissen brauche.

Also gehe ich leichten Herzens mit dieser Mischform um, Print-Publikationen in kleinen Auflagen und elektronische Publikationen mit ihrer ungewissen Haltbarkeit. Ich hab noch ein paar Sommer vor mir. Die sind medial auf jeden Fall abgedeckt. Über mehr Wirkung brauche ich mir keine Gedanken zu machen.

Aber im Augenblick habe ich viel Freude an diesem Setting, welches mir bei Publikationen so viel Autonomie zusichert, während ich etwa bei Fahrten in Zügen und Autobussen kaum noch Menschen mit Büchern sehe. Vielleicht bin ich ein antiquiertes Wesen. Das schiene mir mit meinem Lebensalter gut vereinbar. Um mit Jimi Hendrix zu schließen: „’cuse me, while I kiss the sky!“

— [Die Edition: Zweite Phase] —

 

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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