Auf dem Weg zu unserem 2017er Kunstsymposion kristallisiert sich das Themenpaket „Volkskultur | Popkultur | Gegenwartskunst“ als wesentlich heraus. Dazu paßt, was ich derzeit vor der Nase habe. Dieser Tage hat sich gezeigt, daß in einem Gemeinwesen mehrere Instanzen der Gesellschaft einig werden können, einen kitschigen Dekorationsgegenstand als „weltweit einzigartiges Kunstprojekt“ abzufeiern.
Was symbolisches Denken ausdrücken möge, basierend auf einem erzählbaren Inhalt, was folglich mit einiger handwerklicher Erfahrung realisiert werden könnte, sieht man da plötzlich mit großer Chuzpe in Szene gesetzt; als leere Geste.
Die Befragung der Verantwortlichen, soweit sie medial abrufbar ist, ergibt nichts, absolut nichts, außer Befindlichkeitsprosa. Was war geschehen? Warum darf das genügen? Ich kann nur Mutmaßungen anstellen. Doch da befasse ich mich dann lieber mit alten Relikten aufregender Erzählungen im öffentlichen Raum.
Es muß den Menschen frei stehen, sich weder für diese historischen Artefakte zu interessieren, noch bei der Gegenwartskunst anzukommen, sondern irgendwo dazwischen ein Gefühlsleben und ästhetische Bedürfnisse zu zeigen, die mir rätselhaft bleiben.
Wir haben in diesem Jahr bei Kultur.at und Kunst Ost ein erhöhtes Augenmerk auf Klein- und Flurdenkmäler gesetzt. Der stärkste Impuls dazu kam vom KulturBüro Stainz. Das ergab nicht bloß eine Vertiefung in einige Fragen zur Volkskultur und zur Sozialgeschichte. Das machte vor allem deutlich, wie detailreich und fein elaboriert diese vorindustrielle Info-Sphäre ist, mit der sich die Menschen einst umgaben.
Das bedeutet, die Summe dieser Zeichen und Denkmäler, Wegweiser und Markierungen ergeben eine atemberaubende „Erzählung“, sind Ausdruck von Lokal- und Regionalgeschichte. Sie sind auch berührende Zeugnisse dessen, was seinerzeit die Conditio humana gewesen ist. (Selbstverständlich ist allerhand Zeitloses dabei.)
Derlei wird einem alles leichter anschaulich und begreiflich, wenn man sich ein wenig über das Leben in der versunkenen agrarischen Welt in Kenntnis setzt. Da ist von Lebensbedingungen die Rede, die bis über den Zweiten Weltkrieg herauf angedauert haben. An diesem Umstand ist zweierlei bemerkenswert.
Erstens, wie gut und umfassend Artefakte aus dieser versunkenen Welt erhalten sind, Gegenstände, die man sich an manchen Orten genauer ansehen kann. Zweitens, wie schnell wir uns mit einem Leben in Wohlstand anfreunden konnten und die Kenntnise von jenem Leben im permanenten Mangel vergessen wurden.
Darin wurzelt vermutlich einer der Gründe, warum wir jene Zeichensysteme nicht mehr lesen können, jene Erzählungen nicht verstehen, die uns in den erwähnten Denkmälern und Wegmarken erhalten sind, die uns umgeben.
Aus eben diesen Gründen ist es dann auch der Unterhaltungsindustrie wie so manchen etwas besinnungslosen politischen Kräften möglich, uns ganz merkwürdige bis abstruse Vorstellungen von „unserer Heimat“ und „unserer Kultur“ vorzusetzen.
Ein Beispiel. Eben hat mir auf Facebook eine skurrile „Jodler-Prinzessin aus der Steiermark“ ihre neue CD-Produktion angedient. Sie behauptet dabei, Heimat sei dort, „wo die Berge sind“, was ich etwa unseren südsteirischen Nachbarn nicht erklären müssen möchte.
Ihr Gesang läßt sich in heimischer Volksmusik nirgends einordnen, ihr vorgeführtes Trachten-Sortiment scheint in Österreichs volkskundlichen Zeugnissen nicht zuordenbar. Schließlich singt sie zum Beispiel: „Das Alphorn ruft vom Berge leb wohl, leb wohl, leb wohl“, während sie neben einem Alphornbläser einige Schritte macht. (Ja, unsere hochgeschätzten Alphornbläser!)
Es wäre eine nette Debatte, in solchen Zusammenhängen zu ergründen, was denn nun schon geraume Zeit „unsere Kultur“, folglich „unsere Identität“ beeinflußt, womöglich sogar bedroht. Die erwähnte „Jodler-Prinzessin aus der Steiermark“ gibt ihre Audienzen mit bodenständiger Aristokratie a la „Steirerbluat“, „Die Klobnstoana“, „Alpenyetis“, „Trio Sonnwend“ und „Trio Alpin“. Das läßt mich völlig ratlos.
Inzwischen wird ja auch das Genre Gegenwartskunst mit völlig beliebigen und zuweilen auf irritierende Art zum Dekorationsgeschäft verschobenen Inhalten belegt. Es scheint, als stünden Volkskultur und Gegenwartskunst gleichermaßen vollkommen frei zur Disposition.
Daraus muß nun keine Hüter-Position abgeleitet werden, kein „Traditionsbewahren“. Es möge sich entfalten, was da komme. Aber wir haben in unserem Lebensraum inzwischen doch einigen Klärungsbedarf, wovon mit diesen und jenen Begriffen die Rede ist. Unter anderem auch, weil die Politik an diesen und jenen Begriffen den Einsatz öffentlicher Mittel festmacht.
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