Was ist das Volk und was die Kultur, wenn jemand heute Volkskultur sagt? Ist der Begriff im Vorbeigehen überhaupt redlich anwendbar? Wissen wir, wovon reden, wenn wir im Alltag darüber sprechen?
Hier ereignet sich nun eine kuriose Spurensuche in einer Spange zwischen Ost- und Weststeiermark; Graz einbezogen. Ursula Glaeser (Kultur Büro Stainz) nutzt das Mittel der Walking Conference, um sehr unterschiedliche Menschen in Debatten zu bringen.
Heimo Müller (Blogmobil), in der Sache ein erklärter Skeptiker, meinte eben: „Volkskultur kann nach Helge Gerndt als wissenschaftlicher Reflexionsbegriff gesehen werden, d.h. durch eine Beschäftigung mit der Volkskultur, insbesondere im 19 Jhd., entstand sowohl die Begrifflichkeit als auch die Volkskultur per se.“
Kurz, indem es benannt wurde, ist es entstanden. Darf das sein? Ist das zutreffend? Besteht da für die Allgemeinheit überhaupt Klärungsbedarf? Selbst das will überhaupt erst erörtert werden, was für uns als Kulturschaffende durchaus naheliegt.
Mich interessiert sehr, wo der wissenschaftliche Diskurs diesbezüglich heute steht. Mich interessiert ebenso, was einem der Alltag in die Hände spielt. Mindestens Wirtschaft und Politik schlagen uns die Schlüsselwörter neuerdings wieder verstärkt um die Ohren.
Wovon ist also die Rede? Ich hab Anfang April begonnen, mich in all dem, was mir im Briefkasten daherkommt und was über triviale Zusammenhänge unter der Woche sichtbar wird, nach Begriffen wie Volkskultur umzusehen.
Wir spüren gesellschaftliche Umbrüche. Das hat offenbar bei manchen Instanzen verstärkt dazu geführt, Themen wie Heimat, Volk, Kultur, Identität stark zu betonen. Der Begriff Volkskultur ist offenbar das „Allzweck-Werkzeug“ in dieser Situation, eine Art kulturelles Schweizer-Messer.
Der Auslöser für meine kleine Sammelaktivität war jüngst das Inserat für eine hochpreisige „Trachtenpuppe“ mit der launigen Überschrift „Servus, ich bin der Luis!“: [link]
Zu dem Zeitpunkt hatte Ursula Glaeser namens des Kultur Büro Stainz schon zu zwei einschlägigen Konferenzen geladen, die solchen Aspekten Raum gaben. Im vorigen Oktober „Heimat“: [Doku] Am 1. April „Gehen“: [Doku]
Im Hintergrund dieser Schritte besteht seit Mitte Februar eine Kooperation zwischen Kultur.at und dem Kultur Büro Stainz. Im Fokus dieser Kooperation stehen Klein- und Flurdenkmäler, steht die „Kulturlandschaft“ als spezielle Erscheinungsform des öffentlichen Raumes.
Dabei sind die Wegmarken, Denkmäler und übrigen Markierungen hier zuerst einmal alte Codesysteme zur „Beschriftung“ unseres Lebensraumes durch Zeichen und Artefakte. Dazu kommen aber längst neue Codesysteme, ebenfalls zur „Beschriftung“ unseres Lebensraumes, welche sich mit den alten Beständen verzahnen, sie sogar überwuchern, geradezu ausblenden.
Müller meinte anläßlich der aktuellen Walking Conference: „Bei Herder, Grimm und Mannhardt etc. wird Ende des 18 Jhdt. in der Romantik die abstrakte Größe ‚Volk’ erschaffen bzw. hochgehalten, die Volkskunde als eigene Wissenschaftsdisziplin entsteht.“
Ich hab mich jüngst bei Viktor von Geramb umgesehen, der als hochrangige steirische Autorität in Sachen Volkskultur gilt. An seinem 1946 erschienenen Buch „Um Österreichs Volkskultur“ erstaunt aus heutiger Sicht, wie esoterisch die von ihm genannten Grundlagen sind, bei gleichzeitig explizit geäußerter Intellektuellenfeindlichkeit.
Da wird dem „Intellektualismus“ als Folge von „Literatenschulung“ attestiert, er fördere eine „Blässe großstädtischer Treibhausgedanken“, auch den „Besseren“ und den „Modernen“ mit ihrem „Geist des Hastens und Jagens“ sei zu mißtrauen: “Drahtzaun statt des steirischen Bänderzaunes“…
Ich bezweifle allerdings, ob ihm Menschen aus dem ländlichen oder industriellen Proletariat je zugestimmt hätten, daß in ihnen „Wurzelkräfte der Mütter“ wirksam seien, die durch eine „Eiszeit der Kulturzertrümmerung“ erfrieren könnten.
Ich nehme an, als wenige Jahre nach erscheinen dieses Buches Wissenschafter wie Hermann Bausinger oder Dieter Kramer die laufenden Diskurse zu prägen begannen, muß das für jene „alte Garde“ ein erheblicher Schock gewesen sein.
Inzwischen ist natürlich viel geschehen, wie etwa die Publikationsreihe „Grazer Beiträge zur Europäischen Ethnologie“ illustriert: [link]
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