Sind Brauchtum und Bräuche wieder gefragter als kürzlich? Kultur, Heimat und Identität boomen als Themen; auf alle Fälle in den PR-Abteilungen dieser Gesellschaft. Sonst noch wo? In unserem aktuell laufenden Projekt „Volkskultur 4.0: Eine Positionsbestimmung“ sind die medial vermittelten Motive wichtige Quellen.
Angesichts der erstaunlichen Trachtenpuppe „Luis“ hab ich kürzlich gefragt: „Wo stehen wir im Projekt und im Zustand der Region?“, siehe: [link]
Da wir gerade Ostern und die „Fliegenden Glocken“ erlebt haben, war in der Berichterstattung alles auf tatsächlich weiter zurückreichende Traditionen ausgerichtet: [link] Selbst jene, die „Ohne Bekenntnis“ sind, entziehen sich gewöhnlich nicht den Hauptereignissen von „Allen heiligen Zeiten“.
Doch was zeigt sich übers restliche Jahr? Die dominantesten Motive im medialen Angebotskatalog sind offensichtlich a) Trachten und b) Volksmusik. Beides steht fast als Synonym für Volkskultur, was sich c) im Volkstanz verbindet, in dessen Umfeld eventuell d) Volkslieder gesungen werden oder e) die Blasmusik etwas zur Erbauung der Menschen beiträgt.
Sollte dabei noch „Altes Handwerk“ einen Platz haben, dann ist es in der Regel solches aus der agrarischen Welt. Industrie und Technik bleiben dabei mit ihren handwerklichen Vorläufern für gewöhnlich ausgespart.
Ich hab da noch einen Artikel aus der WOCHE vom 11. Mai 2016: „Gleisdorf im Zeichen von Europa“, da heißt es unter dem Zwischtentitel „Volkskultur“ ausdrücklich: „Weiters waren verschiedene Folkloregruppen zu Gast, welche traditionelle Tänze aus ihrer Heimat präsentierten.“ Dazu paßt eine gegenwärtige Überraschung.
Am 20. April 2017 widmete die Kulturredaktion der Kleinen Zeitung dem Entertainer Andreas Gabalier einen großen Beitrag. Bernd Melichar zeigt sich dabei zwar etwas spröde, übernahm aber die Genre-Zuschreibung „Volks-Rock’n’Roller“ für jemanden, der mit ursprünglicher Volksmusik nichts zu tun hat und bezüglich Rock & Roll bestenfalls als Rockabilly-Satire durchgehen kann.
Aber Gabaliers Qualitäten als Entertainer sind unbestreitbar, was Melichar so quittiert: „Auch U-Musik kann heilsame Wirkung haben.“ Und das ist der Punkt! Seichte Unterhaltung durch ein Produkt der Unterhaltungsindustrie, die sich zu ursprünglichen Volksmusik ungefähr so verhält, wie die industrielle zur bäuerlichen Landwirtschaft.
Das vollzieht sich rund ums gleiche Phänomen: Die Industrie raubt den ursprünglicheren Akteurinnen und Akteuren ihre Bilder, um damit ihre Produkte zu vermarkten. Der Beleg folgt auf dem Sprung. „Der Standard“ berichtet am gleichen Tag vom 17. „Amadeus Award“, wovon einige Genre-Sieger schon bekannt seien: „DJ Ötzi & Nik P. (Schlager) und Andreas Gabalier (Volksmusik)“.
Auf der Award-Website bestätigt sich: „Erstmals werden die Gewinner der acht Genre-Kategorien schon vor der Verleihung präsentiert! Und die Namen finden Sie: hier“
Die Pressemitteilung liest sich fast wie eine Verhöhnung jener Musikantinnen und Musikanten, welche sich der traditionellen Volksmusik Österreichs verschrieben haben: „Wer, wenn nicht Andreas Gabalier sollte diese Kategorie für sich entscheiden? Er selbst nennt sich ja Volks Rock’n’Roller, aber diese Kategorie gibt es leider (noch) nicht. Im Grunde ist es auch nicht so wichtig, da oder dort nominiert zu sein. Sei’s drum und dem Andi wird es auch egal sein.“
Ebenso erhellend der Kommentar zu DJ Ötzi & Nik P.: „Der eine ein Songschreiber, der dem Schlager eine kräftige Portion Qualität einimpft, der andere, der noch viel mehr drauf hat als ein Schihüttenkönig, als der er oft bezeichnet wird.“ (Was in der Sache „Qualität“ sei, wäre zu ergründen.)
Da erstaunt es dann nicht mehr, wenn man sogar über hochkarätige steirische Jazzmusiker erfährt, daß sie neuerdings mit Heimat-Motiven kompatibel sind. Die WOCHE vom 19. April 2017 berichtet an einer Stelle über Schlagzeuger Alex Deutsch und seine „Café Drechsler Reunion“, der aktuelle Auftritt ereigne sich „Aus Liebe zur Musik und zu unserer Region“.
In der nämlichen Ausgabe liest man über Jazzmusiker Georg Gratzer: „Mir geht es darum, der wunderbaren Region, aus der ich stamme, etwas zurückzugeben.“ Das sind gewöhnlich Stehsätze, wie man sie in Subventionsansuchen schreibt, ohne daß jemand erwartet, sie seien ernst gemeint. Kolorit. Ob sie neuerdings aber Ausdruck eines jungen Bemühens um die Klärung von Identitäts- und Heimatfragen sind, wird sich wohl noch zeigen.