Der Golem ist, so erzählt die Sage, eine von Menschen erschaffene Figur, die durch Zauber zu einer Lebendigkeit erweckt wird, um zwei wesentliche Funktionen zu erfüllen. Dieser Homunkulus verrichtet Arbeiten, die dem Menschen nicht möglich sind, und erfüllt Schutzfunktionen in wehrhafter Verteidigung seiner Herren.
Diese Sage wurde auf verschiedene Arten erzählt. Der Prager Golem wird aus Lehm geformt. Erst sagt man eine Formel auf, dann rezitiert man einen Satz aus der Genesis. Für den laufenden Betrieb wird dem Golem ein Zettel mit dem Namen Gottes unter die Zunge gelegt, um ihn für den Alltag zu aktivieren.
Wir kennen also schon aus vergangenen Jahrhunderten das Prinzip der Maschine, die dem Menschen manche Mühe abnimmt, bei bedarf auch als Kampfroboter agiert. Dazu wird das Gebilde per Text programmiert, um dann bestimmte Funktionen auszuführen.
Die Maschinenwelt, auf der unser Lebensstil wesentlich beruht, ist freilich weit komplexer. Sie hatte im 20. Jahrhundert zwei radikale Ereignisse. Erst die Mechanisierung der Landwirtschaft, dann die weitreichende Volksmotorisierung. Dem lag die Zweite Industrielle Revolution zugrunde, Automation und Großserien-Fertigung.
Schließlich setzte sich innerhalb unserer Biographien die Dritte Industrielle Revolution durch. Diese Digitale Revolution wuchtete Mitte der 1980er Jahre die Personal Computers in unseren Alltag, verknüpft uns gegenwärtig über Mobiltelephone, welche einzeln weit mehr Rechenkapazität haben als die Bordcomputer der ersten Mondlandefähre.
Um das zu verdeutlichen, der Apollo Guidance Computer (AGC) von 1969 verfügte über 74 Kilobyte Speicherplatz, hatte vier Kilobyte Arbeitsspeicher und wurde von einem Prozessor mit 1,024 MHz Taktfrequenz gelenkt. Der Rechner wog rund 30 Kilo und verhält sich zu den aktuellen Smartphones ungefähr wie ein Faustkeil zu einem Ferrari.
Inzwischen ist absehbar, daß uns eine ausgefeilte Robotik in die Vierte Industrielle Revolution führt. Das kombiniert Automaten, selbstlernende Systemen, stellenweise von dem befeuert, was wir als erste Formen Künstlicher Intelligenz verstehen. Es ist von einem Internet der Dinge die Rede, dessen maschinelle Vorboten wir bereits kennen.
Mitte des vorigen Jahrhunderts stellte Philosoph Günther Anders ein „Prometheisches Gefälle“ zur Diskussion, in dem Menschen die Erfahrung machen, daß sie gegenüber der Präzision von Maschinen abfallen, wobei die eigene Fehleranfälligkeit im Vergleich zu Maschinen als Unvollkommenheit erlebt wird.
Der Konstruktivist Heinz von Foerster nennt Maschinen, die verläßlich funktionieren, die berechenbar und daher bestimmbar sind, triviale Maschinen. Sie reagieren auf den gleichen Input mit dem immer gleichen Output. Das bezeichnet von Foerster als „eigentliche Maschinen“.
Dann spricht er aber auch von Automaten. Die erhalten durch einen Prozessor eine „konstruierte Steuerung“, welche bewirkt, daß sie auf einen bestimmten Input nicht immer gleich, sondern vielfältig reagieren.
Es dürfte selbst desinteressierten Laien längst klar sein, daß wir uns mit sehr komplexen Systemen umgeben haben, auch wenn im Alltag noch so manche triviale Maschine gebraucht wird. Die sind tatsächlich längst zu Systemen verbunden, von deren Dimension – wie Günther Anders annahm – unsere Auffassungsgabe völlig überfordert ist.
Archimedes soll gesagt haben: „Gebt mir einen festen Punkt im All, und ich werde die Welt aus den Angeln heben.“ Längst bevor in unserer Kultur der Mythos vom Logos abgelöst wurde, erzählten sich die Menschen von Meistern, die staunenswerte Dinge schufen. Hephaistos der Schmied ist der prominenteste unter ihnen.
Der Sohn von Zeus und Hera baute den Sonnenwagen des Gottes Helios, schuf Waffen, Schmuck und Bauwerke, auch allerhand Gebrauchsgegenstände. Besonders bemerkenswert finde ich die zwei mechanischen Dienerinnen, mit denen der hinkende Handwerker gewissermaßen die Robotik vorwegnimmt. Aber auch die Ketten, um Prometheus zu fesseln, stammen von Hephaistos.
Das ist auf symbolischer Ebene interessant. Der Titan Prometheus widersetzte sich Zeus, brachte das Feuer auf die Erde zurück, um sie aus der Finsternis zu heben, nachdem der Göttervater es den Sterblichen entzogen hatte. So gilt er als Zivilisationsstifter, als ein Vorreiter kühner Lösungen für umfassende Probleme, als Schirmherr der Technik.
Deshalb bezeichnete Philosoph Günther Anders unsre Diskrepanz zur Maschinengenauigkeit nach ihm als Prometheische Scham. „Die Menschen fühlen sich der Technik unterlegen. Dies zeigt sich in gängigen Formulierungen, wie der des ‚menschlichen Versagens’, der ‚technischen Präzision’ und dem ‚technischen Fortschritt’. […] Aus dem prometheischen Gefälle resultiert die prometheische Scham des Menschen.“ (Ingomar Balthasar Skof)
Was von den Werken des Archimedes überliefert ist, ob Hebelgesetze, Archimedisches Prinzip, Schrauben, Krallen, Brennspiegel, Kriegsmaschinen und Friedensmaschinerien, läßt fast für sich schon fragen, warum es in der Antike keine Industrielle Revolution gegeben hat.
Eine der Antworten darauf lautet, sie sei nicht nötig gewesen, man habe sich auf ein endloses Reservoire von Sklaven stützen können, die anfallende Arbeiten verrichteten. Schon Tausende Jahre davor war man etwa beim Pyramidenbau darauf gekommen, daß sich große Gruppen von Arbeitern entsprechend koordinieren, zu einer Art „Megamaschine“ formieren lassen.
In der Neuzeit war dann mehrfach festzustellen, daß Technologiesprünge manchmal genau dort ansetzten, wo biologische Arbeitskräfte zu teuer wurden oder einfach nicht mehr verfügbar waren.
Solche Verknappung zeigte sich etwa als großes Pferdesterben infolge einer Nahrungsmittelknappheit, wie vor rund 200 Jahren, was die Ebntwicklung der dampfmaschinen beschleunigte. Oder es zeigte sich als grundlegende soziale Veränderungen, wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als eine Mechanisierung der Landwirtschaft half, daß sich auf Feldern und Wiesen Arbeitskräfte sparen ließen.
Technologiesprünge wurzeln demnach in Krisen, es kann aber auch sein, daß sie uns in spezielle Krisen stürzen; was zur Zeit heraufdämmern mag, da uns ein Ende der Massenbeschäftigung prophezeit wird, wo neue Maschinierien uns Arbeiten abnehmen, die wir bisher nur Menschen zugetraut haben.
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