Ein Projekt endet, einige Fragestellungen gehen in ein anderes über. „From Diaspora to Diversities“ hat uns mehrere Jahre beschäftigt. Seit 2016 befassen wir uns mit „Die Quest“. Darin überscheiden sich einige Themen. Daraus sollen ein paar Fragen weitergeführt werden. Aber vorweg eine grundlegende Betrachtung.
Wer sich selbst gratuliert, zufällig in einem reichen und sicheren Land Europas geboren worden zu sein, ist wenigstens töricht, womöglich arrogant. Wer am liebsten annimmt, ein gut gestellter Nationalstaat könne seine Annehmlichkeiten allein und nur für sich in die Zukunft fortschreiben, hat nicht verstanden, wovon das 20. Jahrhundert handelt.
Sollten Sie jetzt schon das Gefühl haben, mir widersprechen zu wollen, nehme ich die Debatte gerne auf.
Weiter: Wer sich nun in der Geschichtsbetrachtung bestenfalls mit den letzten zwei- bis dreihundert Jahren befassen möchte, wird vielleicht die verschiedenen Stadien der Industriellen Revolution skizzieren können, aber Europa ist damit nicht beschreibbar.
Damit sei auch gesagt, daß in Europa bis heute die Armut dort wohnt, wo sich keine gut gehende Industrienation herausbilden konnte; begleitet von stabiler Rechtsstaatlichkeit, grundlegender Verteilungsgerechtigkeit und einem Bildungswesen, das unter solchen Bedingungen gedeihen konnte. (Das ist keine Frage individueller Fähigkeiten, sondern vor allem ein politisches Kräftespiel.)
Was unsere Nachbarn auf dem Balkan angeht, hatten sie noch wenig Gelegenheit, sich in einer Eigenstaatlichkeit zu üben, bei der die gröbsten Konflikte im Inneren überwunden waren und die Einflüsse von außen das Maß zivilisierter Staatengemeinschaften nicht wesentlich übersteigen.
Bürgerliche Eliten in den Landeszentren? Kulturelle Autonomie? Adäquate kulturelle und wirtschaftliche Institutionen? Hinreichende Industrialisierung, auf daß man nicht verdammt ist, seine Rohstoffe und Arbeitskräfte billig abzugeben, aber gewünschte Produkte teuer einzukaufen?
Im 19. Jahrhundert eskalierten ethnische Konflikte zunehmend und rassistische Diskurse wollten glauben machen, daß es den Leuten im Süden angeblich an Talenten und Fleiß fehlen würde.
Das war den vorherrschenden Kräfte offenbar gerade recht, denn es herrschte längst ein Verteilungswettkampf, der verschieden Wurzeln hatte; dazu gehörte die Aufteilung der Welt, wie sie im 15. und 16. Jahrhundert erst einmal zwischen Spanien und Portugal ausgetragen wurde; siehe dazu: „Karavellen und Muskatnüsse“ [link]
Seither waren diese Auseinandersetzungen um Vorteile auf Kosten anderer im globalen Ausmaß nie mehr zur Ruhe gekommen. Ein Problem, das bis heute unserer sozialen Frieden bedroht.
Zurück zum Balkan. Zwei Imperien, das der Habsburger und das der Osmanen, hatten die Region bis zum Beginn des 20. Jahrhundert im Griff. Andere Regime Europas versuchten, dort Fuß zu fassen. Die Interessenslagen reichten von Frankreich bis Rußland.
Um es etwas polemisch auszudrücken, wir haben den Balkan zum Schuttplatz der Geschichte Europas gemacht. Was immer man in den letzten zweihundert Jahren dort an Schurken finden konnte, es ist die gleiche Art der Schurken, wie man sie auch bei uns entdecken kann. Der Unterschied liegt bloß im Zustand der Zivilgesellschaft und des Rechtstaates, also in der Fähigkeit eines Staatsvolkes, diese Schurken im Zaum zu halten.
Wenn also auch die jüngere Vergangenheit den Balkanvölkern keinen Raum zum Blühen ließ, ist das doch historisch jene Region, der Europa viel von dem verdankt, was wir heute gerne als Wurzeln des Abendlandes bezeichnen, als „Unsere Kultur“, der „Unsere Identität“ entspringt.
Wer alles andere ignoriert, muß mindestens anerkennen, daß die Griechische Philosophie und die Theaterstücke jener Antike von Balkanesern verfaßt wurden. Werke, die uns seit über zweitausend Jahren bleibend beschäftigen.
Was die letzten zweihundert Jahre angeht, waren Teile der westlichen Welt sehr damit beschäftigt, England als vorherrschende Industriemacht der Welt zu schlagen. Das gelang zuerst Deutschland und den USA. Im Übergang von der Ersten zur Zweiten Industriellen Revolution mußten allerhand südslawische Talente die Orte ihrer Herkunft verlassen, weil sie zuhause nichts werden konnten.
Ich nenne zwei renommierte Beispiele. Der ethnische Serbe Nikola Tesla gelangte zu Weltruhm. Der ethnische Slowene Janez Puh wurde als Johann Puch mindestens in der Steiermark weltberühmt.
Die Natur verteilt besondere Talente und Fertigkeiten ganz beliebig. Eine Gesellschaft sollte es schaffen, hinreichende Rahmenbedingungen sicherzustellen, damit solche Talente zum Zug kommen können. Das werden wir für ein prosperierendes Europa der nahen Zukunft dringend nötig haben.