Wie sollten sich Zentrum und Provinz heute zueinander verhalten? Hat die neue Mediensituation an den alten Modi etwas ändern können? Anfang 2017 konnten wir in Regionalmedien Headlines wie diese lesen: „Ländlicher Raum wird aufpoliert“.
Mir kommt das etwas zu salopp daher. Das Thema Landflucht bezeichnet kein bloß steirisches, sondern ein globales Problem. Mit etwas Polierpaste und weichen Tüchern wird daran nichts zu erreichen sein. Im Rahmen des Projektes „Dorf 4.0“, getragen von einem wachsenden Netzwerk inspirierter Personen, setzen wir auf Kooperationen, die es uns erlauben, große Themen zu bearbeiten. (So auch dieses.)
Dabei ist eben ein nächster Schritt gelungen. Kürzlich hab ich in Graz erlebt, daß Wissenschafter Hermann Maurer als Vortragender einen Kinosaal füllt. Siehe dazu: „Kühne Überlegungen und notwendiges Vergessen“ [link]
Da spricht einer, referiert knifflige Themen, und dann so ein großes Publikum? Zentrums-Verhältnisse, die sich in einem Dorf nicht ohne weiteres einrichten ließen, vielleicht auch auf solche Art gar nicht erstrebenswert sind.
Warum sollten wir die Provinz urbanisieren? Warum sollten wir Zentrums-Konzepte in die Peripherie übertragen? Das wäre eine etwas antiquierte Pose. Da sind wir bei „Dorf 4.0“, schon ein Stück weiter.
Hermann Maurer besucht uns seit einiger Zeit für kontinuierliche Arbeitsgespräche. Dabei haben wir auf unserem Terrain alte Gefälle zwischen Zentrum und Provinz inzwischen eingeebnet. Kritische Diskurse, lebhafte Zusammenarbeit, Schritt für Schritt kristallisiert sich heraus, auf welche Art wir in der Wissens- und Kulturarbeit diesen konkreten Brückenschlag zwischen dem Landeszentrum und der Provinz einrichten wollen.
Dazu gehört ein aktuelles Arbeitsgespräch im Gasthaus Wolf in Kalch. Dieser Ort, eine Katastralgemeinde, ist Ortsteil von Albersdorf-Prebuch. Das illustriert eine der Besonderheiten, mit denen wir in der Region zurechtkommen müssen. Solche Gemeinden haben kein herkömmliches Ortszentrum und nichts von der kompakten Dichte der Städte.
Jede Kenntnis von einander, jedes Zusammenfinden im kulturellen Leben verlangt völlig andere Strategien. Dörfliche Kulturpolitik kann sich nicht an der von Städten orientieren. (Für uns spielen Kommunikationsverhalten und Mobilität eine ganz andere Rolle als für Stadtmenschen.)
Maurer ist so entgegenkommend, das zu beachten und in unserer Zusammenarbeit darauf einzugehen. Wie viele Kulturschaffende, die aus dem Landeszentrum heraus schon Arbeitskontakte mit uns gesucht haben, tragen stets diesen Satz auf den Lippen: „Bist du manchmal in Graz?“ Dann könne man sich treffen, mögliche Vorhaben bereden.
Das ist der Modus wenigstens des 19. Jahrhunderts, als sich Zentren herausgebildet haben, die ihre Peripherie zur Provinz machten. Nun, im 21. Jahrhundert, ist vielen Leuten immer noch nicht klar, daß wir an diesen Umständen verändernd arbeiten sollten.
Maurer braucht man das freilich nicht zu sagen, er handelt da von sich aus ganz anderes. So also nun im etwas entlegenen Kalch, wo wir dieser Tage vor allem zweierlei auf den Punkt zu bringen hatten. Erstens war ein Konsens-Check fällig, auf welche Weise das Thema Volkskultur im Projekt „Mensch und Maschine“ verankert sein soll. Siehe dazu: „Kontext Volkskultur“ [link]
Zweitens sind wir uns einig, daß zur inhaltlichen Arbeit, zu den Diskursen und zum Verfassen relevanter Essays, auch eine „Praxiszone“ kommen muß, in der reale soziale Begegnung stattfindet. Deshalb haben wir am 23.3.2017 beschlossen, daß wir eine Veranstaltungsreihe in Gang bringen, die unter dem Titel „Austria Forum live“ zwar in Graz ihre Basis hat, an der TU, im Projekt „Austria Forum“, aber in ihrer Wirkung nicht zentralisiert, sondern quasi exzentrisch angelegt ist, also in die Regionen hinausgeht.
— [Dorf 4.0] [Mensch und Maschine] —