Die simple Anordnung: Kosmos und Chaos. Oder: Innerhalb der Mauer die Zivilisation, außerhalb der Mauer Wildnis. Es dürfte seit rund zehntausend Jahren populär sein, daß die Seßhaften den Hauslosen mit Skepsis gegenüberstehen. Aber was bliebe vom Leben in festen Siedlungen, wenn keine Fahrenden um die Wege kämen?
Viele von uns denken noch gerne in Kategorien der mittelalterlichen Stadt. Heute ist die ganze Welt von einer Info-Sphäre umhüllt, die längst weitreichende, handliche Schnittstellen hat; und zwar in einem Ausmaß und einer Streuung, welche in der Menschheitsgeschichte davor unbekannt war.
Über Mobiltelephone und Webstützung ist das Wissen um Zustände und Vorgänge am jeweils anderen Ende der Welt von fast jeder Position auf der Erdkugel aus erreichbar.
An diesen kleinen Geräten wird allerhand festgemacht. Es ist ganz beachtlich, wie groß heute die Ressentiments gegenüber Flüchtlingen sind; und da wiederum besonders gegen jene, die erkennbar über ein Mobiltelephon verfügen. Gute Turnschuhe lassen sie uns auch suspekt erscheinen.
Zwei Werkzeuge der Raumüberwindung, das gute Kommunikationsmittel und das gute Schuhwerk, sollten „gute“ Flüchtlinge also nicht haben. Eine kuriose Analogie zu den Abschätzigkeiten, die man Roma und Sinti für ihre „dicken Autos“ hinterher ruft. (Die Seßhaften wissen genau, worüber ein Hausloser verfügen soll und worüber nicht.)
Wer die christlichen Werte des Abendlandes betont, möge zu den Fahrenden eine unaufgeregte Haltung finden können. Aber so ist es nicht, so weit geht offenbar das Gefühl von grundsätzlicher Verpflichtung im christlichen Europa nicht. Die Überlieferung besagt, Jesus war, wie später auch Buddha, ein Hausloser. Er lud Männer wie Frauen ein, ihm zu dieser Bedingung als Jünger zu folgen.
Diese „Nachfolge Jesu“ darf wohl als ein Grundmotiv des Christentums gelten. Jesus war ein Wanderprediger, der für sich und für all jene, die ihm folgen wollten, zweierlei forderte: Das Verlassen der Familie und die Besitzlosigkeit.
Lukas 14,26 besagt: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.“ Lukas 14,33 gibt unmißverständlich vor: „Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.“
Es wäre sehr verlockend, aber billige Polemik, wollte man unseren Klerus gleichermaßen wie nervöse Landsleute nach dem Stellenwert dieses Konzeptes fragen. Die Lektüre der Schrift macht das ohnehin als einen „Sonderweg“ begreiflich, nicht als ein gesellschaftliches Modell.
Aber ich denke, man darf es schon so deuten, daß diese Sonderwege zulässig sein mögen und daß wir damit zurechtkommen sollten, wenn sich Menschen für die Hauslosigkeit entscheiden, oder – mehr noch! – seit vielen Generationen als Hauslose leben, am meisten aber, wenn sie durch Gewalt dazu gezwungen werden.
Doch so lange solche Reisende uns nicht als Weltreisende begegnen, von denen uns in Gemeindezentren und Wirtshaussälen großformatige Diavorträge angeboten werden, herrschen bewährte Ressentiments vor, die ihrerseits schon über viele Generationen nachweisbar sind.
Letztlich läßt es sich allerdings nur schwer umgehen, unsere ideologischen Probleme mit Fahrenden bezüglich ihrer Herkunft zu untersuchen; die Herkunft der Akzeptanzprobleme, nicht der Fahrenden. Die Städte sind nicht mehr, wie einst im Mittelalter, abschottbar, die Länder sind es ebensowenig.
Außerdem haben wir etwa durch aktuelle Flüchtlingsströme allerhand Anlässe, an unserer Einstellung gegenüber heimatlosen Menschen zu arbeiten, denn nichts weist darauf hin, daß wir klug genug wären, am Weltgeschehen so konsequent zu arbeiten, daß solche Flüchtlingsströme in absehbarer Zeit enden würden. Wir haben demnach über Modi der Koexistenz nachzudenken, möglichst bevor wir dazu vom Lauf der Dinge gezwungen werden.
— [Das Set] —