In einem aktuellen Arbeitsgespräch mit Heimo Müller („Blogmobil“) konnte ich mehr über seine Projektidee „Landkarte der Angst“ erfahren und mit ihm die Grundlagen dieses Projektes debattieren. Ich werde hier sein Vorhaben nicht erläutern, denn das wird noch von ihm selbst kommen. Ich notiere Aspekte unserer Debatte.
Wir kamen überein, daß er dieses Thema primär mit künstlerischen Mitteln bearbeitet sehen möchte. Wir haben schon ein Stück gemeinsamer Vorgeschichte in der Kooperation mit dem serbischen Künstler Selman Trtovac. So war es Müllers Wunsch, der Weg in die Projekt-Umsetzung möge in einem Dialog mit Trtovac beginnen. Der hat inzwischen schon zugesagt, sich darauf einzulassen.
Diese Erörterung führte ich gestern mit Müller im Gasthaus Saulauf, wo wir voriges Jahr mit Trtovac „Innere Strategien der Kunst“ debattiert haben; siehe: [link] Ich liebe dieses längerfristige, prozeßhafte Arbeiten, in dem ich einzig gute Chancen sehe, große Themen abschnittweise zu bewältigen.
Eine Anforderung, der sich Kulturpolitik auf dem Lande gerne entzieht, wo so manches Marketing-Personal meint, man müsse nach spätstens sechs Monaten dem werten Publikum feine Presseberichte über knackige Events bieten können und seinesgleichen mit möglichst runden Publikumszahlen mitteilen, daß einem etwas, was auch immer, gelungen sei.
Unserm „Konferenzzentrum Saulauf“ liegt nahe Schloß Freiberg, in der Gemeinde Ludersdorf-Wilfersdorf. Das ist eine der drei Gemeinden, mit denen wir längerfristig zusammenarbeiten, um miteinander zu erleben, daß man auch anderen kulturpolitischen Ambitionen folgen kann, um sich anspruchsvollen Themenstellungen zu widmen; und das es zeit in Anspruch nehmen darf, was große Themen nun einmal verlangen.
Müllers Idee für die „Landkarte der Angst“ ist eine Reaktion auf reale und irrationale Bedrohungs-Quellen, die sich derzeit europaweit zu merkwürdigen Gemengelagen aufkochen. Das läßt sich sehr gut mit unserem heurigen Hauptthema im Symposion verbinden: „Artist Is Obsolete“, der Künstler ist überflüssig; eine Überlegung, die wir von Niki Passath übernommen haben.
Befinden sich Gesellschaften in weitreichenden Umbrüchen, sorgt das für Unruhe bis tief in die Fundamente der Menschen. Was, wenn sich keine ausreichenden Gründe finden, diese Unruhe aufzuspüren, um dann in öffentlichen Debatten zu klären, welche Vorgänge uns dabei bewegen?
Gerade die Menschen in reichen und recht sicheren Ländern leiden aktuell unter enormen Bedrohungsgefühlen, so lesen wir oft und öfter. Ein derzeit sehr prominentes Beispiel sind jene Territorien Deutschlands, wo die Menschen so gut wie keine Gelegenheit haben, im Alltag Muslimen zu begegnen. Gerade dort hat eine angebliche Furcht vor der „Islamisierung Europas“ (was immer das sein mag) zu sehr aggressiven Verhaltensweisen geführt, die sich auch in politischen Formationen manifestieren.
Wie sich so etwas auch bei uns in der Region herauskristallisiert hat, habe ich voriges Jahr in der Leiste „In der Ebene: Gleisdorf“ dokumentiert: [link]
Müller will das Thema freilich grundlegender bearbeiten. Es weist viel darauf hin, daß Menschen auf reale Bedrohungen, die nicht konkret und greifbar werden möchten, mit Befindlichkeiten reagieren, wo sich die Bedrohungsgefühle aus dem Untergrund etwas Greifbares suchen, „Realität“ konstruieren. So funktioniert das Herrichten von Sündeböcken, seit Menschen solche Erfahrungen überliefern.
Wäre noch zu erwähnen, daß Trtovac in solchen Fragen einen ganz anderen Erfahrungshintergrund hat als wir. Krieg, Flucht, Heimkehr, schließlich ein nächstes Leben in einer Postkriegsgesellschaft, das Ringen um neue Zuversicht und um eine individuelle Wahrhaftigkeit in der Kunst…
Siehe dazu auch: „Im wachsenden Dialog mit Selman Trtovac über unsere Tollen und Optionen als Künstler sind nun zwei Bilder aufgetaucht, die auf kuriose Art illustrieren, wie unterschiedlich unsere individuellen Ausgangspunkte in der Begegnung sind.“ [link]
— [Kunstsymposion 2017] [Dorf 4.0] —