Wir haben eine Situation, in der Kulturschaffende gefordert sein könnten, zur Klarheit über jene Begriffe beizutragen, die im aktuellen Wahlkampf ebenso mißbraucht werden, wie schon in einigen vergangenen.
Nun liegt der Auftakt unseres 2016er Kunstsymposions vor mir. Der fällt in ein Zeitfenster, durch das wir gerade eine Hochkonjunktur von Themen wie „Heimat, Kultur, Tradition, Identität und unsere Werte“ erleben. Sie wurden kürzlich von fast allen politischen Lagern strapaziert, werden derzeit von beiden Kandidaten zum Bundespräsidentenamt in Anspruch genommen.
Es erscheint mir unverzichtbar, darauf einzugehen. Kulturschaffende sollten – wie angedeutet – die öffentliche Diskussion über den Einsatz und Betonung dieser Begriffe nicht versäumen.
Am 09.09.2016 fand ich auf Facebook ein Statement von HC Strache, das die genannten Begriffe zur Diskussion stellt. Über deren Inhalte und Bedeutungen gehen die Auffassungen derzeit breit auseinander.
Mir fällt schon längere Zeit auf, daß vorzugsweise vaterländische Kräfte überhaupt keine Auffassung von den Inhalten und Bedeutungen dieser Begriffe haben, obwohl sie diese stärker den je in öffentliche Diskurse schieben.
Ich möchte fast sagen: Sie wissen nicht, wovon sie reden, tun das dafür um so lauter.
Strache schrieb: „Die grünen bzw. linken ‚Intellektuellen’ oder selbsternannten ‚Gutmenschen’, die zum Teil ihr eigenes Volk nicht lieben können und nicht leiden mögen, irren sich, wenn sie glauben, weil sie selbst auf die eigene Heimat (Kultur, Tradition, Identität und unsere Werte) verzichten können, sollten auch die übrigen 98% der Österreicher darauf verzichten!“
Wo kann ich nun nachlesen, was genau gemeint wurde, wenn solcher „Wordrap“ zu einem Hauptereignis öffentlicher politischer Auseinandersetzungen avanciert?
Ich finde nicht bloß seit Wochen und Monaten keinerlei stichhaltigen Erklärungen, was unsere Patrioten damit meinen. Ich vermisse sie seit Jahren. Es ist mit „Heimat, Kultur, Tradition, Identität und unsere Werte“ der Patrioten offenbar ein wenig so wie mit der Vorstellung von Zeit, wie sie Augustinus in seinen „Bekenntnissen“ erwähnt.
„Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand darüber fragt, so weiß ich es; wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so weiß ich es nicht…“ (Quelle: Buch XI, Kapitel 14)
Regionale Kultur- und Wissensarbeit legt nahe, diese Themen keinesfalls zu ignorieren. Wenn wir keine Begriffe haben, wissen wir nicht, worüber wir reden. Es verbieten sich Geplapper wie Marktschreierei. Dazu gehört allerdings die Anforderung: Nennen Sie Ihre Gründe! Erklären Sie sich!
Da unsere Sprache lebt, da sich Begriffsbestimmungen laufend ändern, sollten wir über „Heimat, Kultur, Tradition, Identität und unsere Werte“ reden. Doch vorweg: Ich bin mit Sicherheit ein linker Intellektueller, wobei ich die politische Standortbestimmung „links“ historisch von der Französischen Revolution herleite. (Meine aktuelle Präzisierung spare ich hier aus, da muß augenblicklich genügen: Ich stehe gegen autoritäre und nationalistische Konzepte.)
Was ist nun ein Intellektueller? Wikipedia läßt uns wissen: „Als Intellektueller wird ein Mensch bezeichnet, der wissenschaftlich, künstlerisch, religiös, literarisch oder journalistisch tätig ist, dort ausgewiesene Kompetenzen erworben hat und in öffentlichen Auseinandersetzungen kritisch oder affirmativ Position bezieht. Dabei ist er nicht notwendig an einen bestimmten politischen, ideologischen oder moralischen Standort gebunden.“ [Wikipedia]
Diese Definition stützt sich auf laufende Diskurse, zum Beispiel auf: Stephan Moebius: „Intellektuellensoziologie – Skizze zu einer Methodologie“ [PDF]
Ich hab es für mich vor einigen Jahren so präzisiert: „In diesem Sinn sehe ich auch meinen Part als Intellektueller; in Berufung auf das Rollenmodell Emile Zola. Der Intellektuelle bringt sich in die öffentlichen Diskurse ein, ohne dazu von einer Institution oder Instanz aufgerufen worden zu sein.“ [Quelle]
In einer späteren Notiz unter dem Titel „Warum ich so ein Arsch bin“ war festzuhalten: “Den stärksten Eindruck aus verstaubten Zeiten hinterließ bei mir natürlich Emile Zola, der eine ganze Regierung herausgefordert hatte. Er ist für mich Europas vorrangiges Role Model eines Intellektuellen, der sich ohne Einladung von höherer Instanz in den öffentlichen Diskurs einbringt.“ [Quelle]