Machen Sie ein kleines Experiment. Naas ist eine nördliche Gemeinde der Energieregion Weiz-Geisdorf, liegt hinter Weiz, ist also von Gleisdorf aus etwas entlegen. Fragen Sie dort jemanden, der noch nie in Nitscha gewesen ist, wie man die Leute aus Nitscha nennt. Nitschaer? Nitscharer? Nitscharianer?
Anders gefragt, wie leicht oder schwer ist es im Medienzeitalter, seine Heimat zu kennen? Und was ist an der Heimat wissenswert? Was alsi ist die Heimat, über die man etwas wissen könnte?
Da ich selbst etliche Jahre ein Nitschinger gewesen bin, weiß ich zufällig, wir man die Leute dort nennt. Ich wette, Sie können selbst in Gleisdorf genug Leute finden, die über diesen (neuerdings) Gleisdorfer Stadtteil nicht bescheid wissen. Oder versuchen Sie es mit Urscha!
Wer „Meine Heimat“ sagt, sollte gelegentlich klar machen, wenigstens sich selbst, was damit gemeint ist. Wir setzen gerne viel voraus, wenn wir uns auf solche Kategorien berufen, um anderen deutlich zu machen, wer wir angeblich sind und was angeblich „Das Unsere“ sei. Da wird allerhand herumbehauptet.
Was ist denn nun Ihre Heimat? Machen Sie ein kleines Gedankenspiel. Nehmen wir an, eine Reise bringt Sie nach Hamburg. Dort fragt jemand, woher Sie kommen, was ihre Heimat sei. Werden Sie dann Nitscha oder Urscha sagen? Vielleicht Gleisdorf oder Bezirk Weiz? Vermutlich nicht!
Sie werden eher Österreich als Heimat nennen, eventuell noch die Steiermark betonen. Im Australischen Canberra würden Sie die Steiermark sicher weglassen und wären schon froh, falls man in Australia weiß, daß es auch noch Austria gibt.
In Dornbirn könnten Sie die Steiermark betonen, den Bezirk Weiz vermutlich nicht, Nitscha oder Urscha würden Sie bestenfalls erwähnen, weil diese Ortsnamen doch nett klingen.
Wäre ich nun noch ein Nitschinger, was dann? Den Ort gibt es nämlich nicht mehr. Ich bin also inzwischen ein Gleisdorfer, jemand aus dem Bezirk Weiz in der Oststeiermark, daher ein Oststeirer, somit ein Steirer, auf jeden Fall ein Österreicher. Was wäre denn nun meine Heimat?
Eines ist klar. Meine österreichische Staatsbürgerschaft macht mich zum Österreicher. Nicht eine Sprache, auch nicht meine Religion, weder mein Lebensstil, noch meine Gewohnheiten machen mich dazu. Ich habe meine Staatsbürgerschaft durch Geburt erlangt, wie es unsere Verfassung vorsieht.
Ich könnte sie auch erwerben, wenn ich die Kriterien, welche unsere Verfassung vorsieht, dafür erfülle. Unser Saatsgrundgesetz kennt aber unterm Strich nur eine Art Staatsbürgerschaft, durch Geburt oder Erwerb, egal.
Es ist eine juristische Kategorie, die mich zum Österreicher macht; als Teil des Demos, des Staatsvolkes. Ich bin zugleich auch Teil von Ethnos, also einer ethnischen, einer kulturellen Gemeinschaft.
Juristisch (Demos) und kulturell (Ethnos) sollte man weder verwechseln, noch vermischen. Es ist eigentlich leicht zu verstehen, auch wenn sich manche Leute in dieser Sache gerne dumm stellen. Alle Noriker sind Pferde, aber nicht alle Pferde sind Noriker. Alle Fauteuils sind Sitzmöbel, aber nicht alle Sitzmöbel sind Fauteuils.
Wenn ich „Meine Heimat“ sage, dann sollte ich auch noch erwähnen, was ich damit eigentlich meine. Nitscha? Gleisdorf? Bezirk Weiz? Oststeiermark? Steiermark? Österreich? Europa?
Eben! Es hängt ganz davon ab, mit wem ich worüber rede. Nun kann man es wenden, sollte es vielleicht umdrehen. Ich mache zum Gesprächsbeginn kenntlich, worum es mir gerade geht.
Übrigens! Wenn Sie hier in der Oststeiermark Leute meiner Generation oder älter Menschen aus der agrarischen Welt fragen, was Heimat, Hoamat, das Hoamatl sei, dann werde Sie erfahren, daß vom Elternhaus und von der (Land-) Wirtschaft, der man entstammt, die Rede ist.
Man mußte freilich das Kind von Besitzenden sein, um ein Hoamatl zu haben, mußte also wenigstens von Keuschlern oder Kleinhäuslern herkommen. Die zahllosen unehelichen Kinder von Dienstboten konnten sich auf derlei nicht berufen, hatten keine Heimat. (Vielleicht ist es genau deshalb im 20. Jahrhundert ein so populäres Thema geworden.)
Der Begriff Heimat wurde seit jeher unterschiedlich besetzt und war stets dem Begriffswandel unterworfen. Er kann also beliebig beansprucht werden, kann aber eben deshalb auch niemals als Rechtfertigung für einseitige Maßnahmen dienen.
Wo über Heimat gesprochen wird, reden wir demnach über Verhältnisse, Beziehungen, Relationen. Wir können nicht über Fixpunkte reden. Das bedeutet zwingend, daß Mißbrauch verübt, wer das Wort Heimat als Kampfbegriff einsetzt.
Es gibt keine Möglichkeit, das Wort Heimat für eine bestimmte Position zu vereinnahmen, um sie auf nationaler Ebene gegen andere Positionen abzugrenzen. Es gibt keine sprachliche, kulturelle oder politische Tradition von ausreichender Tiefe und Reichweite, die das rechtfertigen würde.
Das bedeutet zwangsläufig, daß man auch vaterländisch gesinnten Volksgenossen ihren Heimatbegriff lassen muß. Sie haben aber keinerlei Legitimation, ihre Deutung auf ein reales Land, einen Nationalstaat, und auf andere Menschen exklusiv anzuwenden.
Deren Heimatbegriff ist bloß zu ihrer eigenen Orientierung in der Welt da, mag ausdrücken, wer sie sind, sagt aber nicht, wer die Übrigen sind. Selbstdefinition durch Feindmarkeirung hat keine tiefere Aussagekraft.
— [In der Ebene: Gleisdorf] [Volkskultur] —