Auf dem Weg zum heurigen Aprilfestival stand nun in Schloß Freiberg „Die Ehre des Handwerks“ zur Debatte. Am zweiten Abend der Serie „Handfertigkeit und Poesie“ waren weitere Aspekte zu erörtern, die uns Bedingungen des Menschseins zu klären helfen.
Nein, das ist keineswegs fraglos und außer Streit gestellt. Wir gehen gerade in die Vierte Industrielle Revolution. Robotik, selbstlernende Systeme und Künstliche Intelligenz verschlingen derzeit rund um die Welt sagenhafte Entwicklungsbudgets.
Dabei ist auch erneut zu prüfen, was denn nun Sache der Menschen sei und als was uns Maschinen gegenüberstehen. Wir produzieren längst eine Apparate-Umwelt, die bei weitem übersteigt, was wir zu begreifen imstande sind.
Philosoph Günther Anders nannte das „Prometheische Scham“. Künstler Peter Weibel spricht in diesem Zusammenhang von einer „Exo-Evolution“. Er rechnet diese Entwicklung der Evolution zu, weil sie von Menschen hervorgebracht wurde, die ja Teil dieses Geschehens sind. Sihe dazu einen Logbuch-Einrag vom 8.12.15: [link]
Dieser März-Abend, in dem die Handwerker Manfred Haslinger und Fredi Thaler unseren Ausgangspunkt für die Diskussionen darstellten, machte mehr als deutlich, wie problematisch derlei Entwicklungen vielfach gesehen werden. Zugleich ist gerade in solchen Runden ein auffallendes Potential, manchen Fragen nachzugehen, über die der Blick scharfgesellt werden kann: Worauf ist momentan zu achten? Was steht uns bevor? Können wir uns wappnen, um die aktuellen Prozesse wenigstens irgendwie mitzugestalten?
In einem Rückblich auf den vorangegangenen Abend mit Comic-Zeichner Chris Scheuer und Musiker Erich Rechberger (“Zeichnen, um die Welt zu begreifen“) hatte ich schon erwähnt: „Nun gibt es in menschlicher Haltung Tendenzen gegen solche Entwicklungen, wie sich einst die Weber gegen neue Maschinenwebstühle wandten und begannen, diese Maschinen zu zerschlagen.“ [Quelle]
Heinrich Heine hat in einem unverblümten Gedicht beschrieben, wie traumatisierend diese Prozesse der Maschinisierung menschlicher Arbeitsbereiche sich im 19. Jahrhundert vollzogen hat. Über „Die schlesischen Weber“ schrieb er:
Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
Wir weben, wir weben!
[Details]
Gerhard Hauptmann widmete dem Thema ein Theaterstück: „Die Weber“ [Text] Die Schilderung jener Jahre ist furchterregend. Wir machen derlei Erfahrungen also nicht zum ersten mal. Maschinen nehmen den Menschen teils körperlich schwere Arbeit ab, auch lähmende Routinen. Zugleich heißt das aber für viele den Verlust von Broterwerb.
Einer der erwähnten drei Flüche, die Heine in seinem Gedicht überlieferte, lautet:
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt,
Und uns wie Hunde erschießen läßt –
Wir weben, wir weben!
Dieser Text kam etwa 1847 heraus. Wir konnten seither reichlich Erfahrungen sammeln, was Rationalisierungsmaßnamen uns einerseits an Mühen abnehmen, aber andererseits an sozialen Fragen aufbürden. Unsere Gegenwart fällt inzwischen mit einer befürchteten Zukunft zusammen. Siehe dazu auch: „Robert der Roboter“ [link]
Berücksichtigen wir, daß internationale Debatten, Fachdiskurse aller Art, keinen Zweifel daran lassen, daß die aktuelle Modernisierungskrise innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahrzehnte da sein wird, kann uns nur wundern, daß wir von der Regional- und Kulturpolitik zu den anstehenden Fragen so gut wie nichts hören.
Die aktuellen Prognosen tendieren eher zu mehr als zu weniger Tempo dieser Abläufe. Niemand bezweifelt derzeit, daß wir uns durch genau solche Vorgänge vom Bild einer Massenbeschäftigung in der Industrie verabschieden müssen. Außerdem werden die neuen Computersysteme im Verwaltungsbereich den Menschen Millionen Arbeitsplätze abnehmen.
Die Debatte in den Räumen der Firma Ana-U, wo die Kulturformation Fokus Freiberg beheimatet ist, hatte ihre hitzigen Momente. Dabei war unübersehbar, daß Männer wie Haslinger und Thaler, aber auch Handwerker Sepp Schnalzer, sowohl in einstiger Industriearbeit, als auch in ihren privaten Werkstätten der Gegenwart ein Stück versunkener Arbeitswelt verkörpern; versunken allerdings nur bezogen auf die Massenfertigung in Konzernen.
Es herrschte weitgehend Übereinkunft, daß ihre Kompetenzen auch weiterhin gebraucht würden, freilich nicht marktfähig sind, also einfach zu teuer, als daß sie auf konventionellen Märkten vorkommen könnten.
Dem stimmte auch Unternehmer Ewald Ulrich zu, betonte allerdings, daß wir in Österreich diesbezüglich ein kulturelles Problem hätten. In anderen Ländern seien erfahrene Kräfte jenseits des 60. Lebensjahrs hoch angesehene Leute, deren Wissen und Erfahrung geschätzt werde.
Herbert Walser, für die Lehrwerkstätten von Magna Steyr verantwortlich, ließ keinen Zweifel am zukünftigen Bedarf an qualifizierten Fachkräften, für die der Konzernen eben auch selbst sorge. Ein interessanter Aspekt, denn einer der historischen Vorläuferbetriebe dieses international tätigen Betriebes, das Grazer Puchwerk, hat vor fast genau hundert Jahren begonnen, Vorläufer von Lehrwerkstätten einzurichten.
Altmeister Johann Puch war ohne Zweifel, daß die Facharbeiter, auf die er angewiesen war, weder vom Himmel fallen, noch auf den Feldern wachsen würden. In diese Zeit fällt auch der Bau jener unglaublich langen Halle, von der heute noch ein großer historischer Rest erhalten ist. Aktuell besteht dort das Grazer Johann Puch-Museum.
Was war der Anlaß, rund um 1910 mit dem Bau solcher Hallen zu beginnen? Neue Automaten und Halbautomaten, die eine Serienfertigung von Fahrzeugkomponenten in gleichbleibender Qualität ermöglichten, also ein durch technischen Fortschritt initiierter Automatisierungsschub.
+) Siehe zu diesem Beitrag auch „Industrie 4.0: Die Ehre des Handerks“ [link]
+) Wir gehen in der Themenleiste „Fiat Lux: Panorama” (Running Code)
solchen Themen und Fragen nach: [link]