Das Konzept ist bestechend, die Ergebnisse sind es auch. Ursula Kiesling und Dragan Protic präsentierten in der Akademie Graz Ergebnisse ihrer vorangegangenen Kooperation in Belgrad, nachdem sie in Graz einen Workshop zu ihrer Arbeit angeboten hatten.
Das ganze Vorhaben ist so komplex wie der vorhin geschriebene Satz. Die Kurzfassung. Kiesling hatte mit Menschen des Geriatrischen Zentrums in Zrenjanin gearbeitet. Und zwar in Deutsch, was dort nur von wenigen Nachfahren der Donau-Schwaben verstanden wurde.
Außerdem waren noch einige andre Sprachen von Minoritäten im Spiel. Eine kühne Reise in den Klang. Das ergab in Summe ein poetisches Gewirr, ein Ringen um Momente, eine erste Serie von Gedichten. Protic erzählte, da hätten sehr formelle, quasi gesittete Texte dominiert. Die Gruppe Skart zerlegte, zerschnitt diese Gedichte und gab einzelne Zeilen als neue Themenstellungen und Titel aus.
Dieses prozeßhafte Arbeiten führte schließlich zu ganz anderen Texten, zu kraftvollen Ergebnissen, die nun in einem eigenen Booklet und in der Literaturzeitschrift „Lichtungen“ verfügbar sind. Nein, das war’s noch nicht. Dieses Textkonvolut ist seinerseits Ausgangspunkt für weitere Schritte anderer Menschen.
Davon handeln derlei Workshops. Dabei werden Passagen in den publizierten Gedichten markiert, aufgegriffen, in eine nächste Arbeitsituation übergeben. Sie mutieren zu einzelnen Statements. Sie führen zu neuen Gedichten. Daraus entstehen kleine Booklets, handgefertigte Unikate. Mit diesen Werken gehen Beteiligte auf die Straße.
Im öffentlichen Raum werden Menschen angesprochen, wird ihnen eines der Unikate übergeben, begleitet vom Appell, diesen Prozeß weiterzuführen, zu schreiben, anderen etwas in die Hände zu legen. So werden in diesem Projekt auch Brücken zwischen privaten und öffentlichen Raum gebaut, mindestens Stege, wird Literatur mit realen sozialen Begegnungen verknüpft.
Dabei zeigt sich eine Form kollektiver Kunstpraxis, die es in Österreich zwar gibt, die hier aber nur selten zu finden ist. Es wird dabei nicht so gerne, häufig und hochtrabend von „Interventionen“ gesprochen oder eine Form der Sozialarbeit gleich als Kunstform herausgestellt. Es wird einfach konsequent gearbeitet. Wer mit den Genres vertraut ist, wird einzelne Kunstformen erkennen, über andere Zugänge sind es schlicht lebhafte Begegnungen.
Was Kiesling, Protic und die Gruppe Skart hier zeigen, ist eine komplexe Zusammenführung verschiedener Genres, wobei die künstlerische Kompetenz sich mit sozialen Qualitäten verschränkt. Es ist ferner ein interessantes Beispiel interdisziplinärer Arbeit, denn die versierten Kunstschaffenden stellen ihre Rollen anderen Personen zur Verfügung, erproben ihrerseits in diesem Prozeß die Rollen anderer.
Das war eine Veranstaltung im Rahmen von „From Diaspora to Diversities“ in einer Kooperation von Kunst Ost mit der Akademie Graz.