Was für eine Annehmlichkeit! Als teilnehmender Künstler hatte ich zum Zeitpunkt der Vernissage meine Arbeit längst gemacht und konnte den Rest der Vergnügung an der Bar herumhängen.
Was für ein Job! Künstler Winfried Lehmann im Verbund mit Unternehmer Ewald Ulrich brachten all die kniffligen Elemente so eines Ereignisses in eine stabile Balance. Diese Mehrsparten-Geschichten haben eine wuchtige Tendenz zur Entropie. Aus dem Kosmos möchte stets Chaos werden.
Das ereignet sich kaum je ohne den Klassiker, also etwa jene treuherzig dreinblickende Person, die dasteht und fragt: „Wer hängt mir jetzt meine Bilder auf?“
Daß die Hütte beim 2015er Aprilfestival erneut voll war, belegt nicht nur die Qualität der Arbeit der Kulturinitiative Fokus Freiberg, denn drei Tage eines solchen Programms verlangen eine Menge Stunden Einsatz, die überdies klug angelegt sein müssen, sonst fliegt einem so ein Ding um die Ohren.
Es belegt auch, daß quer durch ganz unterschiedliche Milieus ein markantes Bedürfnis aufzufinden ist, sich auf einer symbolischen Ebene der Welt zu widmen und sich darüber mit anderen Menschen auszutauschen.
In der Dichte so eines Abends haben wir die Freiheit, über mehrere Stunden zwischen Unterhaltung und Tiefgang zu pendeln, wonach uns eben gerade ist. Was die Konzeption des Aprilfestivals ausmacht, wie es Lehmann und Ulrich nun fortführen, kommt zum Tragen, daß eben BEIDE Optionen in den Abend gepackt sind.
Das macht einen essentiellen Unterschied zur konventionellen Unterhaltungsindustrie. Die Unterhaltung hat ihren Raum, ist aber in sehr konkrete Zusammenhänge eingebettet, welche aus den konkreten Lebenszusammenhängen konkreter Personen in einem konkreten Lebensraum erwachsen. (Um solchen Kontext schert sich die Unterhaltungsindustrie ja nicht.)
Ich hatte am Vorabend dieses Aprilfestivals in der „Wunderkammer“ eine kleine Kulturkonferenz, bei der wir uns der nahen Zukunft gewidmet hatten und dabei auch Fragen der Volkskultur einbezogen; siehe: [link]
Wer nun stutzt und an Trachtenlook plus Blaskapelle denkt, unterschätzt eventuell das Thema Trachten und Blaskapelle, sieht aber schon gar nicht, was die Volkskunde inhaltlich noch so zu bieten hat. Zum Beispiel die Auseinandersetzung mit Fragen, was denn das alles soll.
Dabei hatte ich unter anderem einen Text aus der Reihe „Grazer Beiträge zur Europäischen Ethnologie“ auf dem Tisch. Dieter Kramer schrieb an einer Stelle über die „kulturelle Strukturierung des gemeinschaftlichen Lebens“ etwas sehr Anregendes, über das man ruhig einige Minuten nachdenken darf: „Ohne eine solche Strukturierung als Bestandteil der Kontingenzbewältigung durch kulturelle Strukturen ist gesellschaftliches (Über-)Leben nicht möglich.“
Wir haben also gute Gründe, im Ringen um eine zeitgemäße Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz auch die Volkskunde zu Rate zu ziehen. Sie merken schon, wir geben was auf dieses Prinzip der eigenständigen Regionalentwicklung: Aktion und Reflexion beinander halten.
Das lenkt uns zugleich nie von den Vorzügen des Gelben Muskatellers oder des dunklen Zweigelts ab. Überdies steht „Kaffee und Kuchen“ auf einem von Ulrichs Bannern. Kurz, es geht schlicht ums Leben, um unseres, und niemals bloß um ein schickes Programm.
Diese andere Option, das schicke Programm, ist ja nicht anfechtbar und soll sein, ist Gegenstand eines konventionellen Kulturmarketing. Aber das hängt stets am Geld, an den lukrierbaren Budgets, weshalb der Glanz des Events von den konkreten Summen plus der Qualität des Managements abhängt.
Beides, Geld und Managementqualität, sind auch in basisorientierter Kulturarbeit wichtig, notwendig, sie werden bloß mit anderen Intentionen aufgebracht und eingesetzt. Ergo sind die Intentionen ein wichtiges Thema. Dem folgen dann die Umsetzungsfragen. Die erst, wenn gut gelöst, führen zu einem Ergebnis.
Man kann das umdrehen und zuerst ein Ergebnis definieren, dem die Mittel folgen, um eine herzeigbare Intention zu generieren. Man kann auch von einem Dach springen oder mit dem Finger in der Nase bohren.
Sie merken schon, ich bin in Fragen der Wissens- und Kulturarbeit streitbar aufgestellt, denn dies ist eine Zeit einbrechender Budgets. Da will verhandelt werden, wofür Gelder, zumal öffentliche Gelder, eingesetzt werden.
— [Aprilfestival] [Wunderkammer] —