Die Themenstellung des Abends lautete: „Was darf Kunst?“ Da diese Frage ohnehin Mumpitz ist, kam sie wesentlich auch gar nicht erst zur Sprache. Statt dessen führte die Einleitung zu Pablo Picasso, von dem ein Zitat aus ungenannter Quelle deutlich machen sollte, daß er eigentlich jene verachtete, die für seine Werke sehr viel Geld ausgaben.
Das ist übrigens ein zentrales Dilemma der Moderne. Künstler und Bohemiens aller Schattierungen verachteten vor allem jene, die Geld und Zeit auf ihre Werke verwandten, die Bourgeoisie ihrer Tage. Jenseits davon hatten sie nur noch sich selbst als Publikum. Diese zutiefst neurotische Disposition wird auf dem Kunstfeld bis heute gespielt.
Wir erfuhren zuletzt etwa von der herausragenden Marktgröße Erwin Wurm, daß er zwar das Geld der Leute und die Ehrungen der Republik gerne nimmt, aber notfalls auch in einem zum Theaterstück geklitterten Sammelsurium eher mäßiger Reisenotizen genau das alles verachtet und denunziert.
Im Grunde ist diese Debatte längst erledigt, weil wir alle darin aufgeworfenen Fragen für geklärt halten dürfen. Auch daß die Kunst zur Magd des Marktes gemacht werde, ist seit Andy Warhol evident und seit Damien Hirst hinlänglich abgearbeitet.
Daß heute die Superreichen, nachdem sie ganze Volkswirtschaften ausgeplündert haben, Gegenwartskunst als Spekulationsobjekt und Investitions-Thema entdeckt haben, konnte während der letzten Jahre in allen relevanten Blättern nachgelesen werden.
Bliebe noch das Thema „Kunstgenuß als gesellschaftliches Ereignis“ und als Attitüde, um Sozialprestige zu gewinnen. Da ist es momentan immer noch schwer, die Analysen von Bourdieu zu übertreffen.
Bliebe allerdings ein weites Praxisfeld der Gegenwartskunst zu erkunden, auf dem inspirierte Menschen aufregende Dinge tun.
Was demnach ein auf Transe geschminktes Küken unlängst als diensthabender Avatar in der Grazer „Cuntra“ zum Besten gab, hätte eine ironische Brechung all dieser Debatten sein können; oder auch eine grelle Überzeichnung jenes Spießertums, das sich in derlei Merkwürdigkeiten des Kunstbetriebes hervortut.
Das geschah leider nicht. Statt dessen schob die Person mit einem etwas übersteigerten Bedürfnis nach Redezeit den Abend lang vor allem jene Klischees heraus, die mir bezüglich Gegenwartskunst seit Jahren permanent auf dem Boulevard begegnen. Es war eine fast lückenlose Denunzierung der Kunst und Kunstschaffender.
Das paßt aber derzeit irgendwie recht schlüssig zu einem steirischen Kunstbetrieb, in dem derzeit eine Petition [link] kursiert, deren Hauptbotschaft sachlich völlig besinnungslos und in marktschreierischem Funktionärsdeutsch raunt: „Petition zur Rettung des Kulturraums Steiermark“.
Derlei hätte wir debattieren können. Meldungen wie „Jetzt sind alle Kulturinitiativen und Kunstschaffenden massiv in ihrer Existenz bedroht!“ sind purer Alarmismus, reiner Boulevardstil. Allein diese miserable Sprache erscheint mir für Kunstschaffende unwürdig. Das Hauptproblem solcher Pamphlete geht aber tiefer.
Wenn ich zur Beschreibung unserer Zustände schon dieses Maximum an Alarm anwende und den „Untergang des Kulturraumes Steiermark“ an die Wand male, bleiben mir keine Begriffe mehr übrig, um etwa die Bedingungen meiner bosnischen, serbischen, kosovarischen Freunde zu beschreiben, die in ihrer Kunstpraxis gewiß andere Bedingungen haben als wir.
Wenn mir aber, vor allem als Künstler, die Mittel ausgehen, um eine taugliche Beschreibung der Welt zu liefern, hätte ich mich dem Boulevard ergeben. Diese Art Bankrotterklärung wünsche ich niemandem. Solche Art Verzicht auf intellektuelle Selbstachtung schlägt mich in die Flucht.
So habe ich auch in der „Cuntra“ das Podium verlassen und meinen Sessel freigegeben, auf daß man sich weiter mit der Denunzierung der Kunst vergnügen möge. Da spiele ich nicht mit…
+) Siehe dazu auch „Was darf Kunst“ [link]