Als ich hier letzten Freitag den Beitrag „The Track: Pop * Ikarus“ [link] publiziert habe, um zu skizzieren, wohin sich mein kulturelles Engagement nun konzentrieren werde, konnte ich nicht wissen, das mir gleich darauf ein Besuch auf einem versunkenen Kontinent gestattet sein werde.
Dort, in diesem eigentümlichen Atlantis, wo es stellenweise nach kaltem Motoröl und Metallspänen riecht, ist mir kurz ein kleiner Ikarus in die Hand gelegt worden, schwer wie ein Bügeleisen.
Wer übrigens die eingangs genutzte Metaphorik für überzogen hält, möge sich ein paar Überlegungen zusammenreimen. Wir wissen, was Museen bieten. Das ist in Katalogen festgehalten, auch im Internet gelistet. Jenseits davon gibt es aber ein Milieu leidenschaftlicher Sammler historischer Automobile und Motorräder, da ist nicht einmal für Insider verläßlich klar, wie weit die Bestände reichen.
Ich will damit sagen, es gibt ein enormes Kulturgut, das ist gewissermaßen nicht mehr von dieser Welt. Es gibt stille Keller, mit selbst gebauten Liften versehen. Es gibt Garagen und sogar Wohnzimmer, die bergen Fahrzeuge von erlesener Seltenheit.
Sollten Sie die eine oder andere Landpartie genossen haben, sind sie womöglich an einem ergrauten Schuppen vorbeigekommen, in dem man nicht einmal mehr ramponiertes landwirtschaftliches Gerät vermuten möchte, aber… Man kann ebenso an schmucken Lagerhallen vorbeikommen, die durch nichts verraten, daß sie ein Stück Historie eingefangen haben.
Da Fahrzeuge schnell Schaden nehmen, wenn sie nur stehen, werden rare Stücke gelegentlich auf Straßen bewegt. Da muß man schon großes Glück haben, eines davon zu sehen. Die meisten Augenzeugen solcher Momente wissen nicht, womit sie es zu tun haben, wo landläufig schon ein Opel Kadett C als „Oldtimer“ bezeichnet wird.
Ansonsten aber fügen sich tausend Garagen, Schuppen, Keller, Dachböden, Hallen, entlegene Flugdächer und eben auch Wohnzimmer zu einem Land im Land, zu einem versunkenen Kontinent, der nicht nur Kraftfahrzeuge aus dem vergangenen Jahrhundert birgt, sondern auch noch allerhand Artefakte, die einst als industrielle Massengüter dem Leben der Menschen neue Verhältnisse gaben.
Was hab ich da alles schon gesehen! Uhren, Kameras, Schreibmaschinen, Registrierkassen, Espresso-Maschinen, Radios, selbst erste Staubsauger, allerhand Küchengerät, Klapplaternen, Musikdosen etc.
Wenn man ab und zu in einen Winkel jenes Atlantis eingeladen wird, weiß man schon, daß Diskretion erwartet wird. Da gibt es hundert Gründe, warum diese leidenschaftliche Sammler-Community keine Leuchtreklame über den Zugängen von Atlantis wünscht.
Es sind jedesmal aufregende Spaziergänge, um mit Zeugnissen in Berührung zu kommen, die von Handfertigkeit und Ingenieurskunst, die von der Ehre des Handwerks handeln.
Zurück zum kleinen Ikarus, der mir kurz überlassen worden war. Ich hätte nicht gewußt, auf welchen Kühler diese Statuette paßt, wäre mir nicht bei einer Sonderausstellung im Siegfried Marcus-Museum ein brachialer Sportwagen aus dem Jahr 1921 aufgefallen, der mich mehr ansprach als einige Unikate von großer Exklusivität.
Der gleiche Ikarus steht auf der Nase eines Austro-Daimler AD 6/17, Reihen-Sechszylinder, Bootsheck. So entfaltet sich auf visueller Ebene eine komplexe Geschichte mit unzähligen Verzweigungen. Die trivialen Mythen aus hundert Jahren Automobilismus haben markante Wurzeln in den antiken Mythen unserer Kultur.
Wir werden in all dem noch zu debattieren haben, warum wir „Ikarier“ sind und nicht dem Daedalus anhängen, einem klugen Handwerker, der seine Ziele zu erreichen pflegte.
— [Generaldokumentation] [The Track: Pop] [Siegfried Marcus-Museum]–