Wieso habe ich mehr als ein Jahrzehnt auf sehr konzentrierte Art an einer möglichen Position in der Gegenwartskunst gearbeitet („The Long Distance Howl“), um nun in der griechischen Mythologie anzukommen?
Ikarus ist vielen ein Symbol der Befreiung. Eine verführerische Vorstellung. Aber es war sein Vater Daedalus, der die Freiheit gewann. Ikarus fand bloß den Tod.
Was uns an Ikarus fesseln mag, ist die Unbändigkeit im Hochfliegen, eine Bedenkenlosigkeit im Überschreiten von Grenzen. Das verstellt uns den Blick auf Daedalus, den Problemlöser und vorzüglichen Handwerker.
Stehen Ikarus und Daedalus symbolisch für die bipolare Deutung unsere Tätigkeiten, wo zwischen Kunst und Handwerk unterschieden wird? Ist Daedalus trivial und Ikarus mythisch? Wie verhalten sich das Praktische und das Ideelle zueinander? Weshalb befrage ich so alte Erzählungen nach Orientierungspunkten für unsere Gegenwart?
Ich habe die Frage „Was ist Kunst“ längst hinter mir gelassen und mich der Fragestellung „Wann ist Kunst?“ angeschlossen. Ohne wenigstens kursorische Kenntnis unserer Ideengeschichte, wie sie ab der griechischen Antike reichhaltig überliefert ist, kann ich meine aktuelle Position nicht bestimmen.
Zu diesem Aspekt gehört übrigens die Tatsache, daß jenes heute als „westlich“ beschriebene Europa mit der Völkerwanderung den Großteil seiner antiken Quellen verloren hatte. Wir bekamen unsere kulturellen Güter zurück, weil arabische Gelehrte sie übersetzt, studiert und kommentiert hatten. So blieben diese Stoffe erhalten.
Ein bemerkenswertes Beispiel für die Bedeutung kulturellen Austausches, über ideologische Grenzen hinweg, in Tagen, wo sich heute Legionen von leichtsinnigen Menschen an der Idee berauschen, Europa sei in Gefahr „islamisiert“ zu werden.
Da meine aktuelle Themenstellung „The Track: Pop“ lautet, bin ich natürlich mehr auf jüngere Referenzgrößen bezogen. Der allgemein immer noch völlig unterschätzte Marcel Duchamp. Unbedingt auch Beuys, Warhol und John Cage. In meinem Fall wäre außerdem Richard Buckminster Fuller dieser kleinen Reisegesellschaft durch die Denkwelten des vorigen Jahrhunderts zuzurechnen.
Hier habe ich wesentliche Zusammenhänge finden können, die mich zu meiner Art Under Net Conditions gebracht hat, zu einer Kunst unter Bedingungen der Vernetzung, die sehr wesentlich eine kollektive Kunstpraxis ist.
Kollektive Kunstpraxis ist in Österreich wenig populär. (Wir ziehen den Hang zu einsamer Größe vor.) Wenn dieser Arbeitsabschnitt den Titel „The Track: Pop“ trägt, weist das freilich auf populärkulturelle Phänomene hin, auf Korrespondenzen und Interferenzen mit der Massenkultur, wie wir sie wenigstens seit den 1930er-Jahren entwickelt und entfaltet haben.
In den letzten Jahren habe ich im Dialog mit dem serbischen Künstler Selman Trtovac zunehmend eine mögliche Position umkreist, die solche Elemente bündelt. Das ist wiederum ein Geschehen innerhalb einer „Gang of Excellece“, die sich neuerdings formiert hat und die dabei nicht bloß an der Kunst orientiert ist.
Trtovac hat während der 1990er-Jahre an der Kunstakademie Düsseldorf studiert, wurde schließlich Meisterschüler in der Klasse von Klaus Rinke. Damit bin ich erneut auch beim Themenfeld, das Joseph Beuys wesentlich geprägt hat.
Wir sind uns übrigens einig, daß es keinen Anlaß gibt, unsere Kunstpraxis als einen Weg der Beuys-Verehrung einzulösen. Aber wir kennen die Ideengeschichte, aus der sich unsere Vorhaben ableiten und zollen ihm dahingehend Respekt.
Ich habe ein besonderes Faible für eine Beuys-Arbeit, die eher unspektakulär ist. Es ist eine Schiefertafel, entstanden um 1980, genauer Schiefer und Holz, eine Leihgabe Manfred Spies, im Stadtmuseum von Düsseldorf befindlich. Dieser Tafel folgten bedruckte Karteikarten mit einem kurzen Satz.
Wer nicht denken will fliegt raus
„Der Satz ‚Wer nicht denken will fliegt raus’ entstand 1977 nach einem anstrengenden Seminartag auf der documenta 6 in Kassel. Klaus Staeck reichte Beuys eine gelbe Karteikarte mit der Aufforderung, den Satz aufzuschreiben. Aus dieser Karteikarte entstand ein Multiple der Edition Staeck in einer Auflagenhöhe von 30 Stück, sowie im selben Jahr eine identische Postkarte.“ (Die Quelle als PDF)
In einer kollektiven Projektentwicklung für den Abschnitt im Jahr 2015 schrieb uns Unternehmer Ewald Ulrich eben: „Technisch ist mir alles klar. Wichtig wäre mir schon frühzeitig eine Diskussion, wie der künstlerische Wert rüberkommen soll, bzw. welche Emotionen die Aktion ansprechen soll. Dann kann ich gerne passende Technik bereitstellen.“
Da bin ich wieder bei einem Motiv, dessen Hintergrundfolie uns Ikarus und Daedalus zeigt. Wir verknüpfen die Kunst in ihrer Autonomie, keinen anderen Zwecken außer ihren eigenen dienen zu müssen, mit dem Handwerk, der Technik, wo sehr praktische Problemlösungen gefordert sind.
Wir formieren gerade ein Team, das sich dieser Arbeit längerfristig widmet und mit Zwischenergebnissen an die Öffentlichkeit treten wird. Siehe zu diesem Projektauftakt auch: „Jaray mit Fernsteuerung“ [link]