Wo ich nun schon Jahre mit alten Handwerkern zu tun habe, fallen oft Fragen an, weil ich vieles nicht weiß. Dabei erfahre ich allerhand, denn die Handwerker finden es prima, wenn jemand etwas wissen möchte.
In meinem Kulturbetrieb ist das ganz anders. Da wird selten gefragt und alle scheinen alles zu wissen. Das halte ich für etwas merkwürdig.
Ich habe nun eine ganze Serie von Kulturkonferenzen absolviert. Einige liegen noch vor uns. Jene, die hinter uns liegen, wurden mir zu einer eigentümlichen Anstrengung. Das Wünschenswerte, nämlich neue Klarheiten, kann einem leicht zu einer Bürde werden.
Für mich bleibt in vielen Bereichen kein Stein auf dem anderen. Was weniger hätte ich anstreben können? Aber genau das beunruhigt mich auch sehr.
Zusammengenommen möchte ich für die letzen Wochen behaupten: Da hatte ich mehr Leute aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft am Tisch, denn Kunst- und Kulturschaffende. Was bedeutet das?
Womit es mir blendend geht, ist die Erfahrung, daß sich Funktionstragende auf uns einlassen und wir in Prozessen sind, die gemeinsame Erfahrungen möglich machen.
Die steirische Situation hat in den letzten Jahren sicher eines deutlich gemacht, Zurufe Richtung Politik sind unerheblich. Das ganze Geplärre bleibt Karaoke. Gemeinsames Tun schafft neue Ansichten, Einsichten, Optionen.
Die jüngste Session mit Kuratorin Anja-Alexandra Weisi-Michelitsch war mir sehr wichtig, weil ihr Input bekräftigt hat, was zu ahnen war: Exzellente Arbeit handelt von einer klaren Fokussierung, die eine Mischung aus kontinuierlicher Reflexion des laufenden Tuns verlangt, ergänzt um jene Wahrnehmungs- und Erlebniserfahrungen, die man findet, wenn man sich auch draußen in der Welt entsprechend umsieht.
Wer meint, ich würde hier unnötigerweise ganz selbstverständliche Dinge hinschreiben, kennt die Praxis heimischen Kulturgeschehens nicht. Das ist alles keineswegs selbstverständlich.
Es nützt mir in Fragen der Regionalentwicklung erheblich, wenn ich mich etwa mit dem Künstler Selman Trtovac austauschen kann, der in Serbien seine Erfahrungen mit kollektiver Kulturpraxis und lokaler Politik einholt.
Es hilft mir noch mehr, wenn ich das mit dem Wissen von Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov hinterlegen kann, die den Kunstbetrieb Jugoslawiens mit jenem seiner Folgestaaten vergleichen kann und das zu unserem Betrieb in Beziehung setzt.
Ich verstehe derzeit besser, wie ungenügend unsere Rahmenbedingungen in der regionalen Wissens- und Kulturarbeit sind. Das liegt keineswegs bloß an der Verfehlungen anderer Menschen oder an der Asymmetrie von Geldflüssen.
Wie viel an Bedingungen könnten für uns Kunst- und Kulturschaffende schon besser sein, wenn wir die Konditionen unserer Arbeit ausreichend klar erhoben, erprobt und daher als unverzichtbar ausgewiesen hätten, um das auch nachvollziehbar kommunizieren zu können?
Damit meine ich, daß wir unter uns, in der Wissens- und Kulturarbeit, keineswegs ausreichende Verständigung hinter uns haben, die zu vertretbaren Ansichten führt, was uns für die Arbeit als Grundbedingung erscheint und wie wir es unter den derzeitigen Gegebenheiten so oder so sichern können.
Sie verstehen? Wir! Klären wir zuerst einmal, wofür WIR die Verantwortung übernehmen und was WIR sicherstellen werden, egal, wie uns Politik, Verwaltung und Wirtschaft entgegenkommen oder fernbleiben. Verhandeln wir davon ausgehend unsere Bedürfnisse und Bedingungen.
Ich will das richtig verstanden wissen: Es reicht mir nicht, daß jemand herumtrompetet, es solle etwa die Kulturpolitik mehr Geld und sonstige Mittel bereitstellen. Das ist eine Forderung, die jeder Depp zustande bringt, aber es ist keine kohärente kulturpolitische Forderung.
Es reicht mir nicht, daß wir klären, wer alles unter unseren Gegenübern sein Verhalten ändern müsse, damit wir besser arbeiten können. Ich möchte sehen, daß wir eigene Faktenlagen schaffen und verantworten, dann läßt sich gut mit anderen reden, wie zu arbeiten wäre.
Doch einer der brisantesten Punkte war mir lange gar nicht aufgefallen. Wissenschafter Günther Marchner hatte mich in seiner Reflexion von Kunst Ost darauf hingestoßen.
Gerade in der Kultur- und Wissensarbeit, speziell in der eigenständigen Regionalentwicklung, in sozialen und kulturellen Prozessen, haben wir schon allerhand Konsens: Oft sind spezielle Prozesse das Ergebnis. Es geht um immaterielle Güter. Auch ein Scheitern muß zu den akzeptablen Ergebnissen zählen etc.
Ja, das alles ist uns klar, wie kennen die Argumente, wir kennen Fachliteratur, die das bestätigt. Kein Zweifel, unser Tun kann und darf nicht simpler Verwertungslogik unterworfen sein, muß sich in diesem und jenem nicht auf dem Markt bewähren, kennt andere Zusammenhänge der Bewährung. Gut! Schön! Sowieso!
Und dann merke ich, gerade da es nun gelungen ist, für solche Sichtweisen Akzeptanz zu erhalten, immerhin besteht in Gleisdorf auch eine Politik und eine Verwaltung, die das akzeptiert, aufgreift, beachtet, in all dem bin ich nun selbst am Rande einer Krise. Und zwar eben WEIL es in diesem Sinn gelungen ist, für Kunst und Kultur etwas voranzubringen.
Konnte ich es deutlich machen? Gerade WEIL ich mit diesen Prinzipien in der Praxis vorankommen konnte, finde ich mich selbst tief verunsichert von der Asymmetrie zwischen konventionellen und unkonventionellen Ergebnissen.
Die Reflexion, die Evaluierung lassen erahnen, wir haben auf qualitativer Ebene viel erreicht und mußten uns nicht in Quantitäten behaupten. Nun bin ich, und das ist sehr ärgerlich, der Erste in Unruhe und mir selbst scheint etwas zu fehlen; etwas an „Außenwirkung“.
Man könnte es auch so sagen: Ich habe mich für einige Prinzipien entschieden, diese Prinzipien nach Kräften befolgt, was mir sehr respektable Ergebnisse einbrachte. Ich sollte zufrieden sein können, bin es aber nicht.
Das erlebe ich als sehr irritierend.
Und es stößt mich auf eine Überlegung, die mir mehr als mißfällt. Wenn ich mich selbst schon so schwer davon überzeugen kann, daß diese inhaltsorientierte, prozeßhafte Arbeit wichtig ist, die sich nicht dem Markt andient, auf Effekthascherei verzichtet, Events und große Gesten meidet, und darum bemühe ich mich seit den 1980er-Jahren, wie soll ich dann jene Machtpromotoren überzeugen, deren Entgegenkommen wir brauchen, um Neuland gewinnen zu können?
Damit will ich deutlich machen: Sollte Innovation sich wenigstens anbahnen lassen, bewegen wir uns vorab lange auf unklarem Terrain. Ich will diese Unklarheit nicht als „Neue Klarheit“ verkaufen und ich will keine ansehnlichen Ergebnisse behaupten, wo noch keine halbwegs gesicherten Klarheiten bestehen.
Aber in was bin ich da geraten?
Ich fühle mich darauf angewiesen, mit Unsicherheit und Verunsicherung zu arbeiten und zu bestehen. Da werde ich nichts behaupten, was nicht dingfest ist. Da müssen Fragen offen bleiben und Aufgaben ungelöst. All das, damit manches gelingen kann, denn ich weiß, ich werde später nicht mit leeren Händen dastehen. So viel Klarheit hat mir mein Beruf schon ermöglicht.