Ich ringe noch um ein klareres Verständnis dessen, was ich dieser Tage erlebt habe. Zwei Kunst-Konferenzen, etliche Debatten, formell und informell. Es hätte nicht kontrastreicher sein können. Und ich blicke auch auf Kontroversen zurück.
Es ist natürlich kein Zufall, daß ich hier zu KUNST-Konferenzen aufgerufen hatte, also den Fokus auf Kunstdiskurse haben wollte. Ist es Zufall, daß sowas heute nicht ohne weiteres durchgeht?
Mir scheint, daß sich folgende Bipolarität herauskristallisiert hat: Etablierte Häuser haben sich stellenweise wieder Diskursreihen gegeben. Das Grazer Künstlerhaus ist ein Beispiel dafür. Die „Initiativen-Szene“ meidet derlei eher und stößt sich demonstrativ an dem, was die herkömmlichen Einrichtungen sich leisten.
Wer noch darauf besteht, daß sich sehr wohl sagen ließe, was Kunst sei, vor allem wann Kunst sei, wer meint, daß es Begriffe und Kriterien gebe, wird sich schnell an die Zuschreibung des Konservativen gewöhnen müssen.
Ob freilich real junge Leute oder sich den Jungen anheftende ältere Leute auf dem Kunstfeld tatsächlich offener, mehr „vorne weg“ sind, wenn sie auf solche Bipolarität setzen, muß sich wohl erst zeigen.
Ich war allerdings einigermaßen verblüfft, als ich mich per Zuschreibung stellenweise auf der Seite der Konservativen fand.
Wie kommt das? Unsere bisherigen Debatten in diesem Symposion geben mir das überaus starke Gefühl, daß wir aufgrund mehrjähriger Entwicklungen in einem zunehmend harten Verteilungskampf gelandet sind, was alle Arten von Ressourcen betrifft.
Das wird aber nicht offen thematisiert; daß wir nämlich auch innerhan unseres Milieus in einem völlig erbarmungslosen Konkurrenzverhältnis stehen. (Ich denke, man kann das genau dort erkennen, wo Dialog und kritische Debatte nachhaltig fehlen.)
Genau darin ist der Kulturbetrieb eine attraktive Nische; vor allem dann, wenn bestehen könnte, daß klar vertretene Begriffe und Kriterien aus einer antiquierten Pose kämen. Dann wäre das Feld nämlich auch zur saloppen Ausplünderung offen. Wenn alles geht, können alle an die verfügbaren Ressourcen heran.
Das heißt, ich unterstelle, in den letzten Jahren eine ganze Menge von Scheindiskursen und Scheinaktionen erlebt zu haben, deren Hauptgrund darin lag, Zugriff auf Kulturbudgets zu bekommen.
Ich bin heute in meiner subjektiven Verstrickung vorerst nicht in der Lage, einigermaßen verläßlich zu unterscheiden, wo potentielle Avantgarde bestehende Verhältnisse zurecht anficht, deren Grundlagen zurecht zurückweist, und wo man mir Scheindiskurse zumutet, um in einem wachsenden Simulakrum seine Partikularinteressen zu verfolgen und seine individuellen Chancen zu verbessern.
Zurück zu den beiden jüngsten Kunstkonferenzen. In einem Punkt konnten wir offenbar Konsens finden. Die Vortragenden Selman Trtovac und Günther Friesinger haben sich beide klar GEGEN Institutionalisierungen ausgesprochen. Da bin ich völlig auf ihrer Seite.
Wir sollten nicht längerfristig in Institutionen gehen. Wir sollten uns selbst nicht zur Institution um- oder aufbauen lassen. Wir sollten stets neu klären, welche Vorhaben nach welchen Kriterien zu betrachten wären, um vor allem eines zu verhindern: Die Korruption.
Mit Korruption meine ich etwa, daß jemand selbstgewählte Regeln bricht, daß jemand jegliches Fließgleichgewicht zwischen Denken, Reden und Tun aufgibt, daß jemand auf Kosten anderer expandiert.
Ich halte einen erkennbaren Mangel an intellektueller Selbstachtung auch für einen Ausdruck von Korruption.
Zu solchen Fragen sind wir in den Konferenzen nicht gar so lange vorgestoßen. Ich beginne zur Kenntnis zu nehmen, daß es in meinem Metier, soweit es heimischen Boden betrifft, in absehbarer Zeit keinen breiteren Konsens geben wird, daß wir kritische Diskurse vor allem einmal darauf verwenden möchten, über unser eigenes Tun erhöhte Klarheit zu erlangen.
Im Blick auf etwa die letzten fünf Jahre fällt mir auf, daß an grundlegenden Begriffen gerüttelt wurde. So bedeutet zum Beispiel „Kunstsymposion“ oft: Ich erzähle, was ich in letzter Zeit an tollen Sachen gemacht habe. Ich meide den Kunstdiskurs, in dem ich ihn a) für obsolet erkläre und b) durch den gerade populären Alarmismus ersetze, der mich dazu drängt, anderen zum tausendsten Mal darzulegen, was am „Betrieb“, am „System“, am „Markt“, an der „Politik“ alles faul sei.
Es dominiert da inzwischen etwas, das man ein „Diskurs-Selfie“ nennen könnte. Es wächst im Land sowas wie ein soziokultureller Kameradschaftsbund. Aber ich muß erst noch etwas Abstand gewinnen, um für mich klären zu können, was mir derzeit klar ist.