Symposion: Monitoring Foreign Ground

Die Web-Dokumentation „Monitoring Foreign Ground“ zeigt ein Gleisdorfer Rasenstück hinter dem Rathaus. Die auffallende Nähe zum dortigen Mahnmal, das an einen Todesmarsch ungarischer Juden erinnert, geht auf einen Vorschlag von Bürgermeister Christoph Stark zurück. Mit ihm hatten wir die Auftakt-Situation des 2013er-Kunstsymposions erörtert.

September 2013: Fremde Erde

Milica Milicevic und Milan Bosnic, das Duo diSTRUKTURA, brachte Erde aus Serbien mit. Die beiden Kunstschaffenden haben 2013 im Rahmen der „Styrian Sessions“ [link] ein Stück Gleisdorfer Erde abgetragen und eingepackt, an der genannten Stelle durch die serbische Erde ersetzt.

Dieser symbolische Akt war zugleich Auftakt des 2013er Kunstsymposions „The Track: Axiom*Südost“: [link] Für diese Veranstaltung waren wir darangegangen, uns in einem längerfristigen Dialog von Kunst- und Kulturschaffenden aus Österreich, Bosnien-Herzegowina und Serbien inhaltlich auf das Jahr 2014 zuzubewegen.

Wir wollten mit den südslawischen Kolleginnen und Kollegen klären, welche Schwerpunkte wir 2014 betonen könnten, da an die Schüsse von Sarajevo (1914) zu denken sein würde. Somit hatten wir im Zentrum der Stadt einen physischen Bezugspunkt für einen anspruchsvollen Kommunikationsprozeß, der bis heute auf das kommende Symposion gestaltend einwirkt. Die Beobachtung fremder Erde begann am 10.9.2013, also vor fast genau einem Jahr: [link]

Das Gleisdorfer Mahnmal zum Thema "Zukunft braucht Erinnerung"

„Heimaterde“, „fremder Boden“, „verbrannte Erde“, Bodenständigkeit und Entwurzelung, das sind Begriffe, die nationale Diskurse und Narrative das ganze 20. Jahrhundert durchziehen. Die Verfaßtheit Europas handelt gerade von einer auffallenden Renaissance der „Blut- und Boden-Probleme“.

Serbische Erde auf österreichischem Boden. Oder aber: Das Entwurzeltsein. Milan Bosnic hat das erfahren, als der Untergang Jugoslawiens unaufhaltsam schien und er in die Armee gesteckt werden sollte. Also tauchte er ab, verschwand, da längst klar war: Selbst wer diesen Waffengang überlebt, hat große Chancen, an Leib und Seele beschädigt zu bleiben. Andere verließen das Land endgültig.

Das Duo diSTRUKTURA hat in einem berührenden Projekt jenen persönlichen Kummer bearbeitet, der wuchs, als viele ihrer Freundinnen und Freunde Serbien verlassen haben. Ein Effekt, der übrigens auch zu einem desaströsen Brain Drain der verbleibenden Nation führte. Siehe: „We are living in a beautiful wourld“ [link]

Bosnic und Milicevic haben Arbeiten zu diesem Projekt erstmals 2007 gezeigt; und zwar bei uns in Gleisdorf, als es hieß: „Nobody Wants to be Nobody“: [link]

Hinter dieser privaten Erfahrung stehen zeitgeschichtliche Zusammenhänge. Als im Jahr 1941 die Nazi auf dem Balkan aufmarschierten, herrschte unter den südslawischen Ethnien zugleich ein erbitterter Bürgerkrieg. Zu den düstersten Kapiteln dieser Ära gehört die Tötungsmaschinerie im Lager Jasenovac.

Das ist eine der Wurzeln jener Konfrontationen, die in den 1990er-Jahren wieder stark betont wurden, die der (kroatischen) Ustaschen und (serbischen) Tschetniks. Diese Wunden waren noch nicht geschlossen, diese Traumata noch nicht bearbeitet, als in den im Untergang Jugoslawiens die Konzentrationslager im Raum Prijedor (Omarska, Keraterm, Kosarac etc.) zu einer neuen Schande Europas wurden.

Wir sind also den Geist von Auschwitz nicht losgeworden. Und wenn nun unser gemeinsames Ringen um eine kollektive Kulturpraxis unter anderem davon handelt, diese Themen zu bearbeiten, dann sind Zeichen im öffentlichen Raum von wichtiger Funktion. Nicht um die Welt zu belehren, sondern um unserer Bemühung auch physische Präsenz zu geben.

Das Beobachten von Veränderunen in kleinen Schritten als Anlaß zur Reflexion

Das handelt von so kleinen symbolischen Situationen, wo dieses Stück serbischer Erde auf österreichischem Boden von uns durch die Jahreszeiten beobachtet wird; wie die Natur darauf einwirkt oder was Menschen daran bewirken.

Das handelt auch vom heurigen Kunstsymposion, welches wieder wenige Schritte von dieser Stelle entfernt stattfinden wird. Dort wollen wir unter anderem, den Bosnischen Dichter Muhidin Saric willkommen heißen, der Keraterm und andere Lager rund um Prijedor als Folteropfer überlebt hat.

Wenn wir ihn an dieser Stelle in unsere Mitte nehmen, dann ist das eine Botschaft an jene Soldateska, welche Welten des Geistes auslöschen möchte: Wir sind hier. Die Überlebenden erzählen uns von euch. Wir wissen, was zu tun ist, um eure Intentionen und Taten zu widerlegen.

— [Monitoring Foreign Ground] [Generaldokumentation] —

Post scriptum:
Anlaß zu dieser kleinen Skizze war ein abschätziger Kommentar auf Facebook, zu dem ein einzelnes Zustandsbild des Erdfleckens geführt hat. Sehr viele Menschen haben selbst nach über hundert Jahren Moderne in der Kunst noch keinerlei Vorstellung davon, daß auch geistige Prozesse im Rang von Kunstwerken stehen können.

Das erwähne Mahnmal nahe dem Erdflecken gehört zum Projekt „Zukunft braucht Erinnerung“ und wurde 2008 eingeweiht; siehe: [link]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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