Ich lebe gerne in der Provinz. Ich mag den Begriff. Wo mich jemand „Provinzler“ nennen möchte, werden wir kein Problem haben. Wer annimmt, das werde nun provinziell, wird sehen, womit er es zu tun bekommt.
Ich wurde eben nach Wien engeladen. Einleitend heißt es: „In den ländlichen Regionen, abseits der städtischen Zentren, wird täglich an der kulturellen Nahversorgung gearbeitet. Das geschieht mit professionellen Kulturschaffenden, aber auch mit einer großen Zahl an ehrenamtlich Engagierten, die somit einen wesentlichen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt leisten.“
Nein, das ist kein Arbeitspapier der IG Kultur Steiermark. Als ich vor einigen Jahren das letzte mal in solchen Fragen eine kleine Kontroverse mit Zentrumsleuten hatte, richtete man mir aus: „ja, ihr armen, euch geht’s da draußen sicher besonders schlecht“.
Es läßt sich nicht feststellen, daß in Graz erkennbar begriffen würde, daß jenseits von Graz für Kulturschaffende grundlegend andere Bedingungen herrschen.
Bei der jüngsten einigermaßen interessanten kulturpolitische Kontroverse in der Steiermark, dem Streit um das Grazer Künstlerhaus, ließ sich aus allem eigentlich nur ablesen, daß meine Generation Kunst- und Kulturschaffender, soweit sie sich in solchen Fragen exponiert, lieber auf das Landeszentrum, auf den Boulevard, auf Mainstream-Medien setzt, als die Sache einmal erkennbar anders aufzustellen.
Lustig, daß ich Land-Ei nun ins Parlament gehen werde, gewissermaßen ins politische Zentrum des Zentrums, um an einigen Debatten zur Neudeutung des „Denkmodells Zentrum/Provinz“ teilzunehmen. Das eingangs verwendete Zitat stammt aus der Einladung zur SPÖ Klubenquete „zentral.lokal“ (Kunst und Kultur in den Regionen).
Was für eine Ironie, daß ich leidenschaftlicher Provinzler ins Zentrum fahren muß, um in diesen Fragen einmal Diskussionen auf nächster Ebene zu erleben. Bei uns hier schaffen wir nicht einmal die dringendsten Begriffsbestimmungen.
So ist etwa die Provinz davon geprägt, daß mindestens 90 Prozent der Kreativen, die auftreten oder etwas zeigen möchten (und daher kulturpolitische Ansprüche stellen), mit Gegenwartskunst absolut nichts zu tun haben wollen.
Auch bei der erwähnten Grazer Künstlerhaus-Kontroverse gab es keinen Hinweis auf eine nötige Trennschärfe in der Betrachtung der Genres; daß eben Gegenwartskunst und Voluntary Arts verschiedene Felder sind.
Man muß sie nicht hierarchisch anordnen oder gegeneinander in Stellung bringen, das wäre Unfug. Aber man muß sie bezüglich Intentionen, Modi und Ziele von einander unterscheiden können, weil wir sonst ja mindestens in der Provinz kulturpolitisch nicht vom Fleck kommen. (Ohne klare Begriffe kaum klares Denken!)
Fußnötchen:
Im Jahr 2012 gab es eine Serie von kulturpolitischen Debatten, die von der IG Kulur Steiermark auch für einen Moment in die Provinz verzweigt wurde; mit einem erstaunlichen wie unerklärten Plural im Titel: „Kulturpolitiken im ländlichen Raum“ [link]
Im Juni 2013 fragte ich Vorstandsmitglied Stefan Schmitzer nach dem weiteren Gedeihen der Geschichte und erfuhr: „ahoj, es kommt im herbst eine IG-publikation raus, die u.a. kdkp dokumentiert. danach überlegen wir uns, ob und wie wir den text bzw die mitschnitte der vier veranstaltungen für interessierte in voller länge zugänglich machen…“
Schmitzer gehört inzwischen nicht mehr dem Vortand an und ich hab von der Sache nie wieder etwas gehört. Immerhin sind die damaligen Features zu den Veranstaltungen noch online: [link]
Ich erlebe also die Teilnahme an dieser kommenden Enquete im Parlament als ersten neuen Akzent, um die Fragen der Kulturpolitik in der Provinz wieder einmal auf breiterer Ebene zu erörtern.
Es gibt ja bis jetzt noch so gut wie keine tiefere Erfahrung damit, wie hier eine Kulturpolitik gestaltet sein könnte, die über Ortsgrenzen hinausreicht. In vielen Fällen erschöpft sich die herrschende Auffassung von Kulturpolitik in der Region ohnehin in der Verwaltung von Kulturbudgets und im Eröffnen von Veranstaltungen.
Daß wir einerseits in Gleisdorf und andrerseits in der Energieregion (LEADER) dabei schon erhebliche Schritte weiter gekommen sind, ist für mich ermutigend. Aber mir scheint ein Diskurs auf der nächst höheren Ereignisebene unverzichtbar, damit auch ein Austausch quer durch verschiedene Regionen möglich wird.