Ein Teil von Nein

Manchmal möchte man einem erwachsenen Menschen zuflüstern: Welchen Teil von NEIN hast du nicht verstanden?

Es gibt ein paar reale Personen, die sich mit mir auf Facebook lebhaft unterhalten haben, wahlweise jene Unterhaltung noch fortführen. Diese Bühne (Facebook) hat unterschiedliche Bereiche. Onstage können dabei alle mitlesen, backstage ist die Ebene „Benachrichtigungen“ nur den ausdrücklich Beteiligten einsehbar.

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Man kann auf Facebook auch einzelne Personen „blockieren“, wodurch man wechselseitig unsichtbar wird. Man kann ferner einen ganzen Thread löschen, wodurch man einen Debattenverlauf allen Blicken entzieht.

Als altgedienter Netizen umfaßt mein „kühles Extrazimmer“, das Internet, verschiedene Ressorts. Facebook ist mein „Balkon“. Eine andere Bühne ist mein persönliches Logbuch, quasi das literarische Feuilleton des Langzeitprojektes „The Long Distance Howl“. Eine dritte Bühne ist die Website des Kulturlabors Kunst Ost (Hier Sind Sie gerade!), die auch wie ein Feuilleton geführt wird

Nun habe ich auf dem Balkon Facebook eine anregende Kontroverse erlebt. Diesem Wickel entsprangen allerhand Reflexionen, aus denen ich jetzt einen Themenschwerpunkt „Pop“ entwickeln möchte. Eine junge Frau, die das ausgelöst hat, fand dort noch Verstärkung durch eine Ratgeberin aus meiner Generation. Was man sich so über die Gasse hinweg zuruft, erzeugt eben Echos und Interferenzen.

Ich war forsch ins Thema gegangen, die beiden waren mir forsch zurückgekommen. Als es dann Richtung Zynismus lief, habe ich mich aus der Debatte höflich verabschiedet, die beiden Frauen warfen mir noch ein paar Artigkeiten hinterher, Ende der Debatte.

Das alles rührte sanft an etwas, wofür man in frühen Zeiten der Netzkultur ein leuchtendes „Flaming“ erlebte. Wer also zu forsch in ein Thema reingeht, bekommt „Flames“ als Antwort, wird „geflammt“. Die medial generierte soziale Distanz und das Tempo der Maschinerie läßt Debatten meist härter daher kommen als sie intendiert sind. So gehen auch Kontroversen oft viel schneller hoch als bei realer Begegnung, Face to Face.

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Dann ereignete sich etwas Belebendes. Die Debatte war eingeschlafen, zu recht, denn das Thema gab nichts mehr her und das Streiten auch nicht. Eine dritte Person setzte aber bei eben jenem Thread auf Facebook einen Link auf einen meiner Logbuch-Einträge.

Dort habe ich Originalton aus dem FB-Thread verwendet, um eine Geschichte zu erzählen und dabei einige Denkmuster und Denkfiguren zu illustrieren. Dabei geht es um Fragen der Authentizität der Story, was ja nicht verlangt, reale Personen preiszugeben.

Nun wurde es romantisch. Die Vorbilder für meine Geschichte begannen zu lesen, die eine oder andere Person wollte sich wiedererkannt haben und reklamierte sich in die Geschichte hinein. Jüngst: „…und meine Kritik daran – kannst du ruhig zitieren, aber ehrlich und nicht mit sinnentstellenden Auslassungen wie hier.“

Also noch einmal! Manchmal möchte man einem erwachsenen Menschen zuflüstern: Welchen Teil von NEIN hast du nicht verstanden?

NEIN, ich zitiere Dich nicht, weil Du (Realperson) in meiner Geschichte nicht vorkommst. Ich verwende bloß Deine Sätze, um bestimmte Denkmuster darzustellen. Daher gibt es auch kein Problem der Auslassung, des unvollständigen Zitates.

NEIN, ich habe nicht Dich auf eine Bühne geholt, in einen Text gezerrt, sondern bloß getan, was Autorinnen und Autoren seit Jahrhunderten tun: Ich greife Momente und Motive aus dem Alltagsleben auf und verwerte sie in meinen Texten.

Ähnlich verhielt es sich mit der erwähnten Demoiselle, die sich in meinen Texten wiedergefunden haben will, weshalb sie forderte, dort wieder extrahiert zu werden: „Ich will in deinem Forum ned vorkommen, egal ob namentlich erwähnt oder als Demoiselle. Und mir ist egal ob du Schriftsteller bist oder nicht, ich hab noch nie erlebt, dass mich wer in einem Blog-Beitrag zitiert, nur weil ich einen Musik-Link auf eine Pinnwand einer Freundin gepostet hab. Ich hab dich nie gebeten dass du aus diesem Beitrag eine Disskusion machst.“

In meiner Glosse „Warum ich so ein Arsch bin“ [link] war mir unter anderem daran gelegen, das Thema Definitionsmacht etwas stärker in aller Blickfeld zu rücken. Zitat:
Das meint primo: Wer darf sagen, was es ist?
Das meint secundo: Wer darf was wann sagen, wenn überhaupt?

„Ich hab dich nie gebeten dass du aus diesem Beitrag eine Disskusion machst.“ fällt erneut in jene Kategorie: „Ich verstehe, was du meinst, aber ich kann Deinem Wunsch nicht nachkommen.“

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Wo wäre unsere kritische Öffentlichkeit, wenn Schreibende jeweils darauf warten sollen, daß sie jemand zur Meinungsäußerung einlädt? Sie wäre natürlich im „Modus Klemens von Metternich“.

Wie nun also ich mir die Freiheit nehme, eine Bühne zu errichten, um mein privates Kasperltheater öffentlich aufzuführen, haben auch andere die Freiheit dazu und mögen das tun.

Ach! Das ist zu mühsam? Es nimmt zu viel Zeit und Kraft von übrigen Dingen weg? Ich verstehe. Es macht ja wirklich viel Arbeit, sich eine Meinung zu bilden, diese zu formulieren, zu verschriftlichen UND zu veröffentlichen. Ja, diese Mühe könnte man sich sparen, wenn… Na, was wenn?

Diese Mühe könnte man sich sparen, wenn man gelegentlich einen Link postet und polemisch kommentiert; Fire and Forget, dieses schlampige Herumrotzen, all diese kurz gefaßte Befindlichkeitsprosa, die ausgestoßen sein möchte und sich schon für eine Meinung hält, wenn das genügen würde. Pardon, mir genügt das nicht!

Let there be Pop!

— [The Track: Pop] [Generaldokumentation] —

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