Am 10. Dezember 2013, einem „Tag der Menschenrechte“, setzte sich Muhidin Saric an den massiven Tisch. Vor ihm lagen Bücher und Papiere. Das Publikum hatte sich in den Sesseln zurechtgerückt.
Das Buch „Schwarze Höfe, Crna Dvorista“ ist ein Lyrikband. Saric hat die Gedichte seinen Erfahrungen aus der Zeit im Lager Keraterm gewidmet. In mehreren solcher Konzentrationslager rund um die bosnischen Stadt Prijedor hatte eine serbische Soldateska begonnen, ethnische Säuberungen mit dem organisierten Mißhandeln und Töten von Gefangenen zu forcieren.
Es ging also nicht einfach darum, die bosniakische Bevölkerung von einem bestimmten Terrain zu vertreiben, es wurden unbewaffnete Zivilpersonen der völligen Willkür und Gewalttätigkeit bewaffneter Gruppen ausgesetzt.
Ein Terror, auf Einzelpersonen angewandt, in seiner Wirkung zugleich auf die gesamte regionale Ethnie gerichtet.
So sind die Texte von Saric mehrfachen Anforderungen unterworfen. Es muß nicht nur die knappe Form der Lyrik weit mehr an Erzählung fassen, als ein offensichtliches Textvolumen auf ersten Blick annehmen läßt. Diese Texte führen außerdem in Tiefen eines Erfahrungshintergrundes, für den die meisten unter uns keine realistischen Referenzpunkte haben.
Damit meine ich, über eigene Qualen in Todesnähe gerückt zu werden, in Ungewißheit zu bleiben, wann es einen das letzte Mal treffen wird, während man die Qualen und das Sterben anderer täglich begleiten muß, ist von einer tückischen Grausamkeit, deren Dimension mir völlig unklar bleibt.
Die Tochter von Saric, Emina, hatte mich fragen lassen, ob ich bereit sei, an diesem Abend die deutschen Fassungen der Gedichte zu lesen, denn ihr Vater werde sie in Bosnisch vortragen.
Ich kenne einige der Orte, an denen diese Dinge geschehen sind. Auf dem Weg nach Omarska hatte ich Prijedor besucht. Ich war in Kozarac mit Muslimen von der Moschee zu den Gräbern gegangen.
In seinem Erinnerungsbuch „Keraterm“ läßt Saric einen der Täter sagen: „Du hast Glück gehabt, daß du hierher gekommen bist… In Kozarac waren die Grün-Baretts, die hätten euch alle umgebracht. Die haben eure Häuser vernichtet und alles niedergebrannt.“
Am Tag vor der Lesung hatte mir Emina die Auswahl der Gedichte geschickt, die ihr Vater vortragen würde.
[…] Gust mrak / gladan vuk moje utrobe
[…] Dichte Finsternis / hungriger Wolf meiner Eingeweide
Es mag lächerlich klingen, denn ich bin unzählige Male mit Texten vor Publikum gewesen, aber ich hatte große Sorge, meinen Part emotional durchzustehen. Eines Menschen Stimme, wenn sie laut wird, ist sehr verräterisch und bricht einfach, wenn man einen Gedanken nicht erträgt.
Dieser kleine, kurze Dienst für jemanden, der unsere Sprache nicht spricht wie ich die seine nicht. Wieso sollte ich das diesem Mann nicht gewährleisten können?
[…] Cuvaj se cuvay / i nikom zla ne pomisli / tudji je haram pretezak sinko / moze te ne daj boze sapriti.
[…] Nimm dich in acht, in acht / und wünsch keinem etwas Böses / fremdes Leid lastet schwer, mein Sohn / es kann dich erschlagen, Gott bewahre.
Es war wohl vor allem meine Vorstellung davon, was er in sich trägt; und daß ich dessen Gewicht schwer ertragen würde.
Es ist ganz leicht gewesen, ihm diese kurze Zeit nahe zu sein. Als die letzte Zeile verklungen war, spürte ich seine Hand kurz auf meinem Rücken.
Das zweisprachige Buch „Schwarze Höfe, Crna Dvorista“ ist im österreichischen Drava Verlag erschienen.
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