Ich bin auf dem Weg zu unserem 2013er Kunstsymposion mehrfach gefragt worden, warum ich das Thema 1914-2014 derart unabdingbar ins Auge gefaßt habe. Als ob „100 Jahre Schüsse von Sarajevo“ gar so wichtig seien, vor allem hier in der Provinz, vor allem für eine kleine Kulturinitiative auf dem Lande.
Mein erstes Projekt-Memo zu diesem Vorhaben trägt das Datum 4.12.2011. Es liegt also fast zwei Jahre zurück, in denen ich meiner Umgebung nicht ausreichend klar machen konnte, was mich an dieser Themenstellung so sehr beschäftigt.
Es geht im Grunde um einen ideologischen und mentalitätsgeschichtlichen Status quo meiner Leute in der Gegenwart, welcher seine Wurzeln in politischen und soziokulturellen Kräftespielen in der Zeit ab dem Berliner Kongreß hat.
Ich will hier gar nicht erst ausbreiten, was den essentiellen Unterschied zwischen Wiener Kongreß (1814/15) und Berliner Kongreß (1878) ausmacht. Wir sollten für möglich halten, daß zwischen diesen beiden historischen Ereignissen einer jeweiligen Neuordnung Europas ein erschreckender Paradigmenwechsel liegt, der unsere Gegenwart betrifft.
Eben noch mußten Herrscher ihre Soldaten bezahlten, um sich neue Länder, deren Schätze und Untertanen aneignen zu können. Oft genug wechselten die Kriegsknechte, wenn das Geld ausblieb, unter einer Schlacht die Seite.
Dieses Problem (als eines von vielen am Kriegführen) ließ sich abschaffen, indem das „Volksheer“ erfunden wurde, zu dem eigene Untertanen in Waffen gezwungen werden konnten.
Um das voranzubringen und kommende „Volkskriege“ zu legitimieren, war ein erheblicher Aufwand an Ideologie und Propaganda nötig, kurz, die Militarisierung der ganzen Gesellschaft, womit schon Napoleon Furore gemacht hatte. Ich denke, darin liegt eine der stärksten Quellen für den Nationalismus europäischer Länder im 19. und 20. Jahrhundert.
Auf dem Weg in den Großen Krieg von 1914 mußte „Der soldatische Mann“ als Ideal aufgebaut werden und das Heer als „Schule der Gesellschaft“ Akzeptanz finden. Dabei benötigten die Eliten neue Feindbilder, welche nun vorzugsweise ethnisch konstituiert wurden.
Plötzlich waren die höchst unterschiedlichen Ethnien des Habsburger Imperiums nicht mehr „Meine Völker“ Franz Josefs.
Die Gleichschaltung der Gesellschaft, um ihr jene Anstrengungen, Entbehrungen und Schmerzen aufbürden zu können, welche die (ideologisch und technisch) neuen Kriegsformen verlangten, sind keine Erfindung der Nazi. Schon die Habsburger mußten erreichen, daß ihre Untertanen in Kauf nahmen, die Grenzen zwischen Front und Hinterland verwischen zu lassen.
Das bedeutet unter anderem, es wurde eine Art von Feindbildern und deren Anwendung erprobt, die sich bis heute in der selben Art von damals bewähren; in Auschwitz ebenso erprobt wie in Srebrenica.
Im Kalten Krieg waren dann die meisten von uns schon selbst dabei. Was da an Stereotypen vertieft wurde, an nationalistisch geprägter Praxis der Inklusion und Exklusion vorankommen durfte, füllt Bibliotheken.
Ich kürze nun ab.
Der aktuelle Rechtsruck, wie ihn die jüngsten Nationalratswahlen in Österreich offensichtlich machten, gedeiht in und an diesem Erbe. Ich möchte sogar unterstellen, daß wir diesem Erbe, dessen große Gaben schon im Ersten Weltkrieg auf den Tischen lagen, bis heute emotional anhängen. Immerhin sind das die Kräftespiele, in denen wir von Untertanen zu Staatsbürgern werden durften.
Genau darin wäre nun energisch zu entscheiden, ob wir der Tyrannis oder der Res publica den Vorzug geben. Das scheint derzeit nicht an nähernd so klar, wie ich es mir wünschen würde.
In eben diesem Zusammenhang war das 2013er Kunstsymposion in Gleisdorf ein Auftakt, dem Konsequenzen gewidmet sind. Ein Auftakt im Dialog von Kunstschaffenden wie Intellektuellen aus Österreich, Bosnien und Hercegovina und Serbien.
Wir sind gut beraten, die Bedingungen des Ersten Weltkrieges zu verstehen, um den Weg in den Zweiten Weltkrieg als Vorbedingung des Kalten Krieg zu reflektieren, damit es besser gelingt, unsere mentalitätsgeschichtliche Gegenwart zu begreifen.
+) Texte zum Thema: [link]
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