Das Gleisdorfer Kunstsymposion hat einige Querverbindungen in anregenden Kooperationen. Das meint etwa die Akademie Graz, aber auch das Institut für Kunst im Öffentlichen Raum Steiermark. Unser künstlerischer Angelpunkt ist dabei das serbische Duo diSTRUKTURA.
diSTRUKTURA hatte eben seine Projektpräsentation in der Akademie Graz. Dort ist derzeit auch eine Ausstellung ihrer „Diaspora-Fotografien“ zu sehen. Milica Milicevic und Milan Bosnic befassen sich schon etliche Jahre mit den inneren und äußeren Konsequenzen des Brain Drain in jenen Ländern, die einst Jugoslawien ausgemacht haben.
Dazu gibt es nun eine Reihe von Interviews, welche diSTRUKTURA mit südslawischen Leuten in der Steiermark geführt haben. Eines der Motive solcher Gespräche ist für uns in Österreich schwer nachvollziehbar: „Das Land, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es nicht mehr“.
Das heißt aber vor allem, wir hatten genug Zeit, über verflossene Jahre und allerhand ideologisches Futter die kollektiven Traumata des „Großen Krieges“ wegzuarbeiten, wonach ja ein Imperium verschwand; das der Habsburger.
Das gegenwärtig vertraute Land war zwischendurch „Restösterreich“, war als „Ostmark“ Teil des Dritten Reichs, hatte danach vor allem auf seinem Weg durch den kalten Krieg erhebliche Probleme, die multiethnische Realität seiner Vorgeschichte anzunehmen.
Das drückt sich heute in sehr banalen Situationen aus. Ein Beispiel vom Abend in der Akademie Graz.
Sängerin Irina Karamarkovic stammt aus dem Kosovo und nennt sich eine „Sammlerin unnützer Reisepässe“. Dieses in Europa so wichtige Dokument hat sie innerhalb ihrer Lebenszeit in den Ausfertigungen mehrerer Staaten erhalten. Einer davon, Jugoslawien, existiert nicht mehr.
Ein Gast fragte sie bei der Projektpräsentation, welcher Nationalität sie sich denn nun zugehörig fühle. Ihr „keiner davon“ wies der Gast zurück. Da müsse doch eine verbindlich sein. Quasi, man IST Jugoslawin, Kosovarin, Serbin etc. Er begann es deduktiv einzugrenzen, um mit einem „Sehen Sie!“ zu schließen.
Wie bemerkenswert, daß sich viele Menschen heute nicht vorstellen können, man sei ohne nationales Selbstverständnis. Dabei ist der moderne Nationalstaat so ein junges Konzept und vor hundert Jahren, also zu Lebzeiten meines Großvaters, hätte eben diese kleine Debatte überhaupt keinen Sinn ergeben.
Das bedeutet auch, der Nationalismus als Ideologie hat eine radikale Effizienz entfaltet. Mir ist nicht bekannt, daß es VOR den 1890er-Jahren bei uns nennenswerte Beispiele rassistisch-nationalistischer Diskurse gegeben hätte.
Innerhalb recht weniger Jahrzehnte hat sich diese Vorstellung etablieren können, deren Effekte sich an so harmlosen Situatiönchen wie diesem kleinen Dialog ablesen lassen.
Auch die Verstörung, wie sie von Kriegshandlungen im einstigen Jugoslawien ausgelöst worden sein mag, da sich Identität als individuelle Erfahrung plötzlich den Interessen von Politikern, Meinungsmachern und Kriminellen beugen mußte, kann bei uns nicht ohne weiteres verstanden und akzeptiert werden.
Damit bin ich bei einem wichtigen Punkt unseres Symposions, das ja die Markierung „1914-2014“ trägt. Was jene Leute bewältigen müssen, die einst in Jugoslawien aufgewachsen sind, blüht auch Europa. Ein Integrationsleistung, die nicht meint, diese müßten sich bei jenen integrieren, denn das ist der alte, nationalistische Modus.
Nein, die Vielfalt der Ethnien, Erfahrungshintergründe, sozialen Level und weltanschaulichen Positionen muß integriert werden. Damit sollten die antiquierten Völkerschlachten ebenso blockiert werden können wie deren junge Derivate, die Wirtschaftskriege.
Wie der aktuelle Wahlkampf in Österreich belegt, sind wir von gesicherten Grundlagen dafür noch recht weit entfernt.
— [Dokumentation] —