Was soll eigentlich dieses 1914-2014 im Projekt? Wir hatten also keineswegs von hausaus einen Grundkonsens, daß dieses Jahrhundert betrachtet und überprüft werden müßte, um in der Gegenwart zu bestehen und für die Zukunft relevante Orientierungen zuwege zu bringen.
Und warum sollten sich ausgerechnet Kunstschaffende damit befassen? Sind da nicht brennendere Fragen und dringlichere Aufgaben, die zumal auf dem Kunstfeld behandelt werden möchten?
Philosoph Dragan Prole hatte in einer der Gesprächsrunden die Formulierung „Schwarze Ästhetik“ eingeführt. Ob er damit auf die Ästhetisierung von Gewalt angepeilt hat, wie sie im Faschismus unverzichtbar zu sein schien? (Was geht das uns an?)
Ich habe Selman Trtovac im Ohr, der immer wieder fordert, die anstehenden Aufgaben seien, wo es Künstler betrifft, mit Mitteln der Kunst zu bearbeiten. Das ist eine sehr plausible Forderung.
Also werden wir etwa zu klären haben, WAS denn nun „Mittel der Kunst“ seien. Dabei humpelt am Rande des Feldes irgendwo die Frage herum, was man sich eigentlich unter der PROFESSION des Künstlers, der Künstlerin vorstellen darf.
Ich kann nicht feststellen, daß diese Frage all zu populär ist.
Ich habe auch nicht erlebt, daß sie bei diesem Symposion am Tisch hätte Platz nehmen dürfen. Dafür schrieb mir Kulturwissenschafter Matthias Marschik nach seiner Abreise aus Gleisdorf: „Die Identität des Künstlers/der Künstlerin in der Spätmoderne wäre ja allemal noch einer näheren Erörterung Wert!“
Na, darauf darf gewettet werden. Auch daß wir dieses Thema in Angriff nehmen, nein, mehr noch, schon in Angriff genommen haben.
Der Grund dafür ist simpel. Meiden wir derlei Klärungen, was also Rolle und Profession der Kunstschaffenden sind, fehlen uns, auf jeden Fall: mir, wesentliche Grundlagen für zielführende KULTURPOLITISCHE Verhandlungen.
Anders ausgedrückt, ein zeitgemäßer kulturpolitischer Diskurs, der adäquate Ergebnisse bringen soll, kann nicht gelingen, ja nicht einmal in Gang kommen, wenn wir eines der wichtigsten Subjekte, ich möchte sagen: PRIMÄREN Subjekte, nämlich Kunstschaffende, völlig im Nebel der Mutmaßunfen und Privatmythologien belassen.
Ich fürchte, wenn das dubios sein und bleiben darf, werden wir auch nicht klar kriegen, was wir meinen, wenn wir KUNST sagen. Wenn aber all dies nur diffus sein soll, brauchen wir ferner über ein Publikum nicht zu reden, über Rezeption.
Dann, um es polemisch zu verkürzen, überlassen wir das ganze Feld doch gleich der Politik und der Wirtschaft, die uns nun seit Jahrzehnten vorhüpfen, daß sie eines am allerwenigstens brauchen, den Kunst- und Kulturbetrieb in Gang zu halten, nämlich sehr autonom denkende und handelnde Kunstschaffende, die gängiger Verwertungslogik und Event-Tendenz eher ein Hemmnis als fördernd sind.
Ich möchte meine Polemik noch ein Stück weiter treiben. Wir haben schon gehört, daß der Kunstbetrieb über weite Strecken ganz alleine mit Kuratoren besetzt recht gut zurecht käme. Eine interesaante Auffälligkeit der Gegewart.
Schichtungen, Schleier, Distanzen. Von Selman Trtovac hab ich dieser Tage erfahren, daß „Treci Beograd“ gerade auszuloten beginnt, was sich ergibt, wenn man etwa malen LÄSST, statt sich selbst als Maler zu profilieren, zu bewähren.
Ich habe mir im informellen Teil des bisherigen Symposions einige Schelte eingefangen, weil ich angeblich auf manchen Fragen bestehe, die als geklärt gelten dürfen. Dem habe ich freilich zu widersprechen. Was ist geklärt? Bitte um Auskunft!
Was nun die Zeitspanne 1914-2014 betrifft, sollte wenigstens EIN Aspekt offener Fragen ganz leicht nachvollziehbar sein. Die Kraft der Kontinuitäten und mentalitätsgeschichtliche Bindungen.
Ich habe meinen Großvater zu seinen Lebzeiten noch gekannt. Er war ein Kind der Monarchie und ein Soldat des Kaisers gewesen. Ich habe ihn erlebt und meinen Vater natürlich ebenso, der zwar eines anderen Mannes Sohn gewesen ist, aber davon wußten wir nichts. Wir wollten nichts darüber wissen, wie dieser Mann, mein Vater, als ein Soldat der Tyrannis viel Unglück im Herzen hatte, von dem reichlich für die folgende Generation übrig blieb.
Da ist also ein gemeinsamer Erinnerungs-, Kommunikations- und Handlungsraum, an dessen Beginn mein Großvater stand, den er und mein Vater längst verlassen haben, von dem ich noch zu erzählen weiß, den ICH also noch verkörpere; samt den angedeuteten Bindungen.
Innerhalb dieses „Ereignisraumes“, in dem die gesprochenen Worte und der reale Pulsschlag von uns dreien auch zeitgleich vorhanden gewesen sind, tauchte eine radikal neue Vorstellung von gesellschaftlicher Realität auf: Daß wir ALLE, möglichst ohne Ausnahme, ein ganzes Volk, eine Bevölkerung, ungehinderten Zugang haben sollen zum ÖFFENTLICHEN gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.
Aber was genau heißt das in der Praxis? Und was heißt das für UNS als Kunst- und Kulturschaffende? Das soll schon geklärt und daher klar sein? Mumpitz! Wir haben erst begonnen, diese Fragen zu bearbeiten…
— [Symposions-Dokumentation] —