Dragan Prole ist einer von diesen Intellektuellen, die zu treffen man schon ein paar Kilometer hinter sich bringen muß. Solche Leute finde ich nicht an der nächsten Ecke. Nun hat mich der Lauf der Dinge verwöhnt. In diesen Tagen ist alles sehr dicht geworden. Rasa Doderovic hat mir ein paar der Wege geebnet.
In all dem ist völlig klar, daß uns Telekommunikation nützt, Teleworking möglich ist, aber die reale soziale Begegnung läßt sich nicht suspendieren. Leibliche Anwesenheit ist auch der Ausgangspunkt für eine symbolische Ebene, die dieses Physische zur Voraussetzung hat.
Ich muß an dieser Bedingung festhalten und habe keine Anfälligkeit für Esoterik. Menschen stehen einander konkret gegenüber. Ein Mensch spricht zum anderen. Das hat nach meiner Überzeugung politische Dimension. (Ich werde es hier noch öfter beteuern.)
Dragan Prole war eines meiner Gegenüber in der ersten Session der „talking communities“, die wir in Novi Sad realisiert haben: [link] Ein Philosoph mit dieser entspannten Art von Menschen, die sehr genau wissen, wer sie sind. Sein Wissenshorizont läßt erahnen, daß er kein Freund vom Small Talk ist. Das dürfte er mit Doderovic gemeinsam haben.
Das ist übrigens etwas, wodurch ich mich gerne an Sergei Romashko von den „Kollektiven Aktionen“ [link] erinnere, dessen scharfer Verstand auf einem schier unermeßlichen Wissensreservoir flaniert. Ich hab das aber auch mit Sabine Hänsgen, ebenfalls von dieser Crew, erlebt; daß sie aus dem Stegreif Themen darzulegen weiß, wovon man jederzeit Impulse mit nachhause nimmt.
Das ist ein Winkel unseres Kulturgeschehens, auf den ich weder verzichten kann, noch verzichten will. Sachkenntnis, Horizont, Esprit…
Also Prole und Doderovic. Durch diese beiden Männer habe ich nun den sehr kuriosen Eindruck gewonnen, daß auf serbischer Seite ein vom Hause Habsburg dominierter historischer Hintergrund ausgeleuchtet wird, um AUCH dessen Bedeutung für sie, für ihre Gegenwart zu klären, die eine etwas irritierende, serbische Postkriegs-Gegenwart ist.
Die Vojvodina war Teil der Militärsgrenze zwischen Habsburgern und Osmanen, mit zwei Regimentern ausgestattet Das Grazer Landeszeughaus belegt die Zuständigkeit der steirischen Landeshauptmannschaft für diese Militärgrenze.
Ich suche ein paar der Positionen, reale Orte, wie in Stichproben auf, um einige Momente der konkreten Anschauung historischer Orte und einstiger Zusammenhänge zu gewinnen. Das spürt keiner Idee vom „Genius loci“ nach, das ist – wie schon angedeutet — in keiner Weise esoterisch befrachtet, sondern einer pragmatischen Überlegung gewidmet.
Wir sind physikalisch. Wir sind leibliche Wesen. Deshalb vermute ich, daß leibliche Anwesenheit an konkreten Orten eine politische Bedeutung hat.
Also: Die Vojvodina.
Die Festung Petrovaradin ist nicht so in die Stadt gekrallt wie der Kalemegdan in Beograd. Sie ist so exponiert, daß ich mir vorstellen kann, ihre Anblick muß den Osmanen schweren Kummer bereitet haben. Branislaw Curcic, ein bewegender Gesprächspartner, den ich in Stapar kennenlernte, widersprach mir darin. Er sagte: „Die Osmanen haben sich vor gar nichts gefürchtet.“
Die Konfrontationen der Habsburger mit den Osmanen im Raum Petrovaradin stehen im direkten Zusammenhang mit der Schlacht von Zenta. Man fährt mit dem Auto ein Weilchen zwischen endlos scheinenden Feldern durch langgezogene Straßendörfer von Novi Sad nach Sombor.
Im Sitzungssaal der Opstina von Sombor hängt ein riesiges Schlachtengemälde, das Eugen von Savoyen in der Schlacht von Zenta zeigt. Das Gemälde schmeichelt ihm, denn nach diversen Beschreibungen dürfte er eher eine sehr unattraktive Erscheinung gewesen sein.
Curcic lachte. „Auf dem Pferd sehen sie alle groß aus.“ Das erinnerte mich an einen türkischen Künstler, der mir, ebenso lachend, über die Generäle seines Landes einmal gesagt hatte: „Of course they sit allways on their horse.“
Zurück zu Prinz Eugen in Zenta. Es erscheint mir auf ersten Blick etwas skurril, daß ich den Haudegen und Büchernarren im Dienste der Habsburger ausgerechnet in einem serbischen Regierungsgebäude auf solche Art gewürdigt sehe. Aber das handelt von ganz unterschiedlichen historischen Kräftespielen.
Die noch anhaltende Ambivalenz in der Überlappung verschiedener Herrschaftslagen läßt sich vielleicht an einer kleinen Episode deutlich machen. Ein serbischer Enkel (Prole) erinnert sich, was sein Großvater zum Vater sagte: „Ich liebe meinen König mehr als Gott, aber Franz Josef war der bessere Regent.“
Das beleuchtet den Kontrast gesellschaftlicher Erfahrungen unter den verschiedenen Herrschern. Die Habsburger hatten einen starken Staat und eine leistungsfähige Bürokratie aufgeboten. Da bestand weitgehend Rechtssicherheit, wurden Verkehrswege und Infrastruktur konsequent ausgebaut, technische Innovationen forciert etc. etc.
Unter osmanischer Herrschaft wurde davon grade einmal das dringendste Minimum sichergestellt. Prole meinte, sie heben nur an Straßen gebaut, was ihnen nützte, ansonsten nichts für das Land getan.
Das Einheben der Steuern war mit entsprechender Autorität unterfüttert, aber der Staat bot den Menschen keinerlei Sicherheit. Familie, Clan, das Tribale boten die wesentlichen Schutzmechanismen für Einzelne. Siehe dazu den Beitrag von Historiker Karl Kaser bei „next code“: [link]