Axiom: 2014 bis 2019

Seit einigen Monaten erörtere ich in meinem Umfeld gelegentlich das kommende Jahr 2014. Es verweist auf 1914. Sollten Kulturschaffende in dieser Sache nichts zu sagen haben, wäre der Massenkultur eine essenzielle Nische zum beliebigen Bespielen überlassen. 1914 ist das Schlüsseljahr zur Eröffnung des 20. Jahrhunderts.

Literaturwissenschafter Radivoj Doderovic von der "Matica Srpska"

Der Rückblick darauf hat Hürden. Dies ist eine Zeit, da weite Bereiche des Journalismus zu Public Relations verkommen, da weite Bereiche der Politik als Showgeschäft realisiert werden und da beides ganz neue Allianzen mit einander eingegangen ist, Journalismus-PR und Politik-Showbusiness.

Wie werden uns denn etwa Kanzler Feymann und Konsorten, der vaterländische Strache oder der Milliardär Stronach darlegen, was wir neu zu deuten hätten? Daß nämlich der Weg vom Berliner Kongress zur Europäischen Union über die Lateiner-Brücke in Sarajevo geführt hat.

Wer jetzt nicht einmal die geringste Vorstellung hat, wovon ich hier schreibe, sollte das 2013er-Jahr nutzen, um sich in dieser Frage etwas auf Stand zu bringen. Ich will es etwas einzuschränken, denn ich habe anderen ja nicht zuzurufen, was ihre Themen seien. (Klar! Niemand muß müssen.)

Die schmalen Gassen der Altstadt von Novi Sad unter der "Almaschka-Kirche"

Ich werde von meiner Warte aus wenig mit Kulturschaffenden anzufangen wissen, denen dieser mächtige historische Hintergrund völlig rätselhaft bleibt.

Was immer wir heute repräsentieren und ausdrücken, ist in diesem Ereignisbogen angelegt und hat bis heute seine Wirkmächtigkeit in den Bildern und Ansichten, die uns vertraut erscheinen.

Der Untergang mehrerer großer Dynastien Europas und die Machtergreifung des Pöbels mit seinen Todeslagern und seinen menschenverachtenden Ideologien hat Instrumentarien und Medien geschaffen, die wir bis heute nutzen, ja, heute mehr denn je und wirksamer denn je.

Das sind Zusammenhänge, die ich mit Literaturwissenschafter Radivoj „Rasa“ Doderovic erörtert habe, als wir durch die alten, früh gegründeten Teile von Novi Sad geschlendert sind. Jenes Terrain rund um die „Almaška crkva“ [link], die Almaschka Kirche, dessen enge Gässchen in der höchst möglichen Lage vor Ort etwas Distanz zum oft wiederkehrenden Hochwasser schufen.

Eine Ansiedlung, welche unter anderem dadurch wuchs, daß hier vorzügliche Geschäfte mit den Besatzungen der nahen Festung Peterwardein möglich waren: [link]

In den Gassen belegt das eine oder andere „Svabska Kuca“, also „Schwaben-Haus“ = deutsches Haus, in Größe und Gestaltung, daß hier ein starkes Einvernehmen mit dem Haus Habsburg bestand.

Der österreichische Einfluß mag auch daran ersichtlich werden, daß die Rathäuser von Graz und Novi Sad dem gleichen Architekten entstammen, wie auch Graz und Novi Sad etwa gleich große Städte sind sowie jeweils Hauptstadt einer Provinz (Vojvodina), eines Bundeslandes (Steiermark).

Wir haben diese Tage genutzt, um nach aller Lektüre und Korrespondenz nun einmal Face to Face zu debattieren, welche Schnittpunkte wir über allen Unterschieden haben. Was teilen wir? Es ist meist einfacher, das Trennende, die Unterschiede, dingfest zu machen. Doch das ergibt kein brauchbares Fundament für Kooperation.

Wenn wir nun auf die Phase 2014 bis 2019 blicken, wenn hier eine konzentrierte und kontinuierliche Arbeit an diesem großen Themenkomplex möglich sein soll, eine Kooperation über etliche Grenzen hinweg, dann scheint es mir sehr wichtig, jetzt klar herauszuarbeiten, was jene Gemeinsamkeiten sind, auf die wir uns zum Ausgangspunkt hin stützen können.

Worauf stehen wir also gleichermaßen? Was ist der Boden an Gemeinsamkeit, von dem wir — in Übereinkunft — aufbrechen können, um diese „Quest“ zu bewältigen, die uns durch das Zeitfenster 2014 bis 2019 zu ein paar weiterführenden Klarheiten kommen lassen soll?

Das Rathaus von Novi Sad

Dieser mein Ansatz, den ich nun mit Rasa Doderovic fixiert habe, ergibt den Angelpunkt für „kunst ost“ (und „kultur.at“ im Verband) und deren Kooperation mit der „Art Klinika“. Eine Kooperation für dieses Zeitfenster 2014 bis 2019, in dem eine Arbeitssituation sinnvoll erscheint, die exemplarisch einen Art Dialog zwischen Österreich und Serbien entfaltet.

Warum hier, in der Region, abseits des Landeszentrums? Gegenfrage: Warum im Zentrum?

Abgesehen davon, daß wir ohnehin Arbeitskontakte nach Graz pflegen, bleibt im Fokus, daß hier, in der Oststeiermark, eine Runde Kunst- und Kulturschaffender gerüstet und bereit ist, an diesem Themenkomplex zu arbeiten und so — unter anderem — deutlich zu machen, daß unser regionales Tun nicht bloß regionale Dimensionen hat, sondern uns auch in einen gesamteuropäischen Kontext bringt.

Darum hier noch einmal explizit jene Behauptung, die ich an den Anfang unseres Vorhabens stelle: Der Weg vom Berliner Kongress zur Europäischen Union führt über die Lateiner-Brücke in Sarajevo.

— [Die Tage der Vojvodina] [the track: axiom] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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