Der Umbruch, von dem ich hier schon eine Weile schreibe, bedarf auch einiger Klärungsschritte in den Fragen wie sich in der Region Kunstschaffende zu anderen Instanzen dieser Gesellschaft verhalten mögen und was das für die Praxis abseits des Landeszentrums bedeutet.
Seit wie vielen Jahren höre ich nun Einwände, die betonen, Kunst sei „abgehoben“, sei „elitär“, sei einem breiteren Publikum verschlossen? Eine von mehreren Antworten darauf muß lauten: Stimmt. So ist es. Aber was ist falsch daran?
Ein kleines Kind kann nicht lesen und schreiben, wenn es darin ohne Unterricht bleibt. Vor einem halben Jahrhundert waren Teile von Völkern ohne diese Bildungsprozesse und daher das Analphabetentum sehr verbreitet. Ich höre, das breitet sich auch in Österreich wieder aus. Was schließen wir daraus?
Kaum jemand wird ohne Lernen auskommen, wenn es um Lesen und Schreiben geht.Warum sollte das mit Kunst anders sein? Warum sollte sie sich leicht, flockig und geradezu von selbst erschließen wie ein Happen Fastfood? Was meint denn „abgehoben“ und „elitär“?
Das meint vor allem, jemand hat bisher keinen Anlaß gefunden, sich auf jene Wahrnehmungs- und Denkprozesse einzulassen, auf jene Erfahrungen in längerfristiger Befassung, die einem Gegenwartskunst zugänglich, vertraut machen.
Ohne solche zeitliche, emotionale und geistige Zuwendung können Sie auch nicht einladend kochen, geschickt gärtnern oder eine Elektrosicherung in Ordnung bringen.
Sie können Ihr Auto nicht in Schuß halten, sie müßten für das Ausmalen Ihrer Wohnung Profis bezahlen, für viele andere Erledigungen ebenso fremde Hilfe beanspruchen, weil Ihnen selbst einfachste Arbeiten davon fremd, elitär, abgehoben vorkommen müßten.
Worüber reden wir also? Was immer mich wenig interessiert oder mir wenig Beschäftigung abverlangen darf, wird mir weitgehend fremd bleiben. Ich stehe dabei dann „Eliten“ gegenüber, die sich Fachkenntnisse und Wahrnehmungserfahrungen angeeignet haben. Das nimmt in der Regel etliche Zeit in Anspruch.
Kunstverständige mit langjähriger Erfahrungen verdienen gerade so viel Abschätzigkeit wie ein guter Mechaniker, eine versierte Krankenschwester, ein Maurer, der was taugt, eine tüchtige Bäuerin.
Eine weitere Antwort auf die Vorhaltung, Kunst sei „abgehoben“, sei „elitär“, muß lauten: Stimmt! Übrigens! Würde es Sie überraschen, wenn ich Ihnen verrate, daß der Papst katholisch ist? Wußten Sie außerdem, daß das Wasser naß ist und der Himmel meist blau, wenn wir ihn wolkenlos sehen?
Seit der Renaissance, also nun schon etliche Jahrhunderte, besteht mindestens in der westlichen Kultur breiter Konsens, daß die Kunst autonom sei, demnach sich selbst die Regeln gibt. Kunst hat ihren eigenen Gesetzen und Regeln zu folgen; genau das bedeutet „autonom“. Kunst hat keinen Auftrag von außen entgegenzunehmen.
Zu diesem Autonomieprinzip gehört auch die Freiheit Kunstschaffender, in der praktischen Nutzung schwächere Positionen einzunehmen; bis hin zur Freiheit, sich dem Markt anzubiedern. Damit wird das individuelle Werk vielleicht in Frage gestellt, aber die Frage einer Autonomie der Kunst bleibt so vorerst noch unberührt.
Damit will ich sagen, daß wir in unserer Kultur seit Jahrhunderten eine Tradition pflegen, in einem bestimmten Denk- und Möglichkeitsraum Arbeitsweisen zu erproben, Denkvorgänge und Wahrnehmungserfahrungen, die tatsächlich und notwendig abgehoben“ sind. Abgehoben von jenen zweckgebundenen Methoden, mit denen wir Alltagsdinge erledigen.
Das ist ja genau der Sinn dieser Optionen. Wer also beklagt, die Kunst sei elitär und abgehoben, beklagt, daß der Papst katholisch ist, das Wasser naß und der wolkenlose Himmel blau, denn so beklagt man einen wesentlichen Sinn künstlerischer Praxis, der darin liegt, Alltagserfahrungen und alltägliche Denkkonventionen zu überschreiten, aufzubrechen.
Ich habe oben implizit angedeutet, der guter Mechaniker verdiene für sein Können Respekt, die versierte Krankenschwester, der taugliche Maurer, die tüchtige Bäuerin. Wer immer seine oder ihre Sache gut macht, darf mit Anerkennung rechnen, die sich in verschiedenen Währungen ausdrücken läßt. (Geld ist nur eine davon.)
Würden Sie freilich ein defektes Auto zur Krankenschwester bringen, statt zum Mechaniker, sind die Chancen recht gering, daß es zu einem guten Job kommt. Vermutlich kann manch eine Bäuerin gerade Zielmauern Schar für Schar hochziehen. Ob jedoch Maurer wissen, wie man Kühe hält und wann was gesät werden muß, darf bezweifelt werden.
Damit möchte ich herausstreichen, daß es hilfreich wäre, wenn etwa Funktionstragende aus Politik und Verwaltung, aber auch aus diversen regionalen Managements und Tourismusagenturen vom Kunstbetrieb nichts verlangen würden, was der Sache fremd ist. Das Kunstgeschehen ist keine soziale Reparaturwerkstatt und kein Wellness-Geschäft. Es ist keine Lebensberatungseinrichtung und kein Tourismusmagnet.
Wer sich Nutzen in solchen Anliegen wünscht, muß auf die Konsequenzen von Kunstpraxis aus sein, aber nicht auf die Kunstpraxis selbst. Kurz und klar: Verlangen Sie nichts von der Kunst, sondern verlangen Sie etwas von den Menschen, die sich auf die Kunst eingelassen haben! Aber verlangen Sie nicht, daß sie Ihnen die Kunst in fünf Sätzen zugänglich machen, denn das geht nicht. Sie würden Vergleichbvares ja auch nicht von einer Ärztin, einem Betriebselektriker oder einem Bundespräsidenten verlangen.
Wir sollten die aktuellen Umbrüche im regionalen Leben nutzen, um ein paar Möglichkeiten neu zu verhandeln. Die Krankenschwester wird gewöhnlich von Patienten keine Zurufe brauchen, was ihr Job sei. Der Mechaniker wird sich nicht vom Kunden erklären lassen, wie die Problemsuche am Fahrzeug anzugehen sei und wie ein gefundener Schaden behoben werden müsse.
Im günstigsten Fall werden sich beide Seiten darüber verständigen, ob und wie sich Wünsche und Bedürfnisse auf der einen Seite mit den Möglichkeiten und Modi der anderen Seite verbinden lassen. Genau das halte ich auch im regionalen Kunstbetrieb für erforderlich.
Das heißt unter anderem, wir haben uns in künstlerischen Vorhaben nicht den etablierten Verfahrensweisen regionaler Institutionen anzubiedern. Wir haben zu klären, welche Themen wir für relevant halten, wie wir sie
a) in künstlerischer Praxis und
b) in Formen der Kunstvermittlung
bearbeiten wollen.
Genau da liegt meiner Meinung nach die wichtige Trennlinie, welche wir der Funkionärswelt deutlich zu machen haben. Die künstlerische Praxis ist Sache der Kunstschaffenden. Hierin hat man uns keinerlei „Abgehobenheit“ vorzuwerfen, denn ich darf daran zweifeln, das sich unter dem regionalpolitischen Personal all zu viele Leute finden lassen, die eine fundierte Kenntnis meines Metiers haben.
In den Fragen der Kunstvermittlung sieht das ganz anders aus, denn da reden wir nicht bloß über den möglichen Einsatz öffentlicher Mittel, da reden wir auch über relevante Themen einer Region und über Prioritäten. Diese Fragen muß ich mit anderen Funktionstragenden und Anspruchsberechtigten diverser gesellschaftlicher Bereiche verhandeln. Da gilt für Kunstschaffende wie für alle, die auch der Politik etwas abverlangen möchten: Nennen Sie Ihre Gründe!
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