Meine vorigen Notizen zur dritten Session von KWW endeten mit dem Zugehen auf eine Frage. Ich schrieb, es gehe auch darum, verbindlich herauszufinden: „Wonach hungert unsere Region?“ Diese Frage, von Hans Meister formuliert, stand am Ende des Abends im hause der estyria. An seinem Beginn hatte Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov zu einer anderen Frage hingeführt: „Wie finden wir, aus all den verschiedenen Lebensbereichen kommend, zu einer neuen Konzeption der Ethik?“
Ausgangspunkt dazu war ihre Schilderung, wie wir im Arbeitsansatz Close to Nature künstlerische Zugänge entwerfen, die sich neben den ästhetischen Aufgaben auch solchen Aufgaben widmen. Peitler-Selakov: „Wir leben mit einem Verlust der natürlichen Umwelt als Erfahrungsraum.“ Dieser Erfahrungsraum sei den meisten von uns verloren gegangen.
Unsere Projektarbeit bündelt dabei nun fünf Optionen: Körperlichkeit, Fühlen, Denken, Wahrnehmen und Handeln. Wir thematisieren hier auch die angemessene Balance zwischen Eigennutz und Gemeinwohl. Peitler-Selakov fragte nach der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Worin sich Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft in dieser Angelegenheit treffen können?
Sind gemeinsame Fragestellungen dingfest gemacht, werden gemeinsame Aufgabenstellungen greifbar. Das ist eine unserer Grundideen. Wo wir die fünf Optionen bündeln möchten, die Körperlichkeit, das Fühlen, das Denken, die Wahrnehmen und das Handeln, haben wir jede Möglichkeit, das in unterschiedlicher Intensität einzusetzen.
Peitler-Selakov: „Alle diese Elemente ansprechen, getrennt, zusammen, in Etappen. So daß der Mensch durch diese Erfahrungen, durch denken und wahrnehmen, letztlich auch zum Handeln kommt. Das ist unsere zentrale Idee.“
Hier wird betont, was wir schon in der zweiten KWW-Session hervorgehoben haben, daß wir auch im Zugang zur Kunst mehr Anregungen zur Partizipation schaffen möchten, damit der Fokus nicht so stark auf dem Bereich der Konsumation bleibt. Konsumation oder Partizipation, das ist eine der brisanten Fragen im laufenden Geschehen.
Praktisch geht es um kein ODER, es geht um das UND mit dem daraus folgenden Verhältnis beider Möglichkeiten zueinander: Konsumation und Partizipation.
Es gibt zu diesem Themenschwerpunkt eine kleine Vorgeschichte. Mirjana Peitler-Selakov war einige Zeit leitende Kuratorin eines Medienkunstlabors im Grazer Kunsthaus. Im Jahr 2008 ist es ihr gelungen, die amerikanische Medienkünstlerin Victoria Vesna ins Haus zu holen. In den Debatten, die wir führten, verwies Vesna auf Richard Buckminster Fuller, von dem die Ansicht stammt, Integrität werde die Ästhetik des 21. Jahrhunderts sein.
Ich habe bei Vesna damals noch nachgefragt, ob das so gemeint sei, wie es bei mir angekommen ist. Vesna bestätigte: „The great aesthetic which will inaugurate the twenty-first century will be the utterly invisible quality of intellectual integrity;…” Das vollständige Zitat in meinem Logbuch: [link]
Darin liegt übrigens auch ein Hinweis darauf, daß es quer durch das 20. Jahrhundert Ereignislinien gibt, auf denen Kunstschaffende — ganz ähnlich wie in der Grundlagenforschung — konsequent an relevanten Themen arbeiten.
Daß sich Künstler als Forschen verstehen, hat übrigens seine Wurzeln mindestens in der russischen Avantgarde zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Es geht dabei also nicht um die Selbstinszenierung als Boheme, um ein „antibürgerliches Gehampel“, das sich im Tragen auffälliger Hütchen und lautem Gehabe erschöpft.
Hier zeigt ein Metier seine Möglichkeiten, wobei die Kunst einen der Angelpunkte ergibt, in dem sich menschliche Gemeinschaft bewegt.