Wenn wir im Kulturbereich Boden gewinnen möchten, sollten wir in der Lage sein, den Status quo realistisch zu betrachten und darzustellen. Das betrifft natürlich auch die Selbsteinschätzung, denn jene, die uns in kulturpolitischen Verhandlungen gegenüber stehen, verzichten ja keinesfalls darauf, uns so oder so einzuschätzen. Wir sollten demnach allfällige Diskrepanzen dieser Ansichten erörtern können.
Unsere Praxis zeigt außerdem, daß es vorteilhaft ist, wenn uns die anderen Positionen nicht egal sind, wenn wir uns über angemessenes Interesse brauchbare Eindrücke verschaffen können, was die Prioritäten, Codes und Reglements jener Metiers sind, mit denen wir aus sachlichen Gründen zu tun bekommen.
Kleiner Eischub: Wenn ich hier „wir“ und „uns“ schreibe, meine ich Kunst- und Kulturschaffende im Sinne eines Metiers, eines Berufsfeldes, NICHT im Sinne einer bestimmten „Szene“.
Ich möchte deutlich machen, daß ein kulturpolitischer Diskurs nicht nur von uns und unseren Prioritäten handeln kann, weil ja unser Tun von anderen Bereichen mitbestimmt wird, stellenweise abhängig ist. Wir können also nicht bloß über Positionen reden, wir müssen uns auch mit den Relationen (zwischen verschiedenen Metiers) befassen.
Ich finde genau an diesen Schnittpunkten oft ein schlampiges Reden über eine „Freiheit der Kunst“. Doch diese Freiheit ist meines Wissens inhaltlicher Natur, was die Kunstwerke selbst angeht, sie ist nicht als soziale Kategorie eingeführt. Wir müßten ja sonst entweder eine quasi aristokratische Existenz anstreben, die sich materiell völlig auf Kosten anderer ereignet oder wir müßten „geschützte Arbeitsplätze“ wünschen, an denen wir von herkömmlichen Anforderungen, wie sie werktätige Menschen meist kennen, weitgehend freigestellt sind.
Ich teile die vehemente Forderung nach angemessener Bezahlung von Kunst- und Kulturschaffenden. Dazu müssen wir freilich sehr konkret klären, WOFÜR wir bezahlt werden sollen. Ich denke, anders ist das nicht verhandelbar.
Ich hab am Beispiel des aktuellen kulturpolitischen Diskurses, der rund um das Grazer Künstlerhaus entstanden ist, skizziert, daß diese Diskussionen in der Steiermark überwiegend, wenn auch nicht ausnahmslos, hinter sich selbst herhinken. Damit meine ich, was viele Kunst- und Kulturschaffende dazu gerade äußern, erreicht nicht einmal das Level jener Papiere, die schon verfügbar sind und der steirischen Politik an mehreren Stellen übergeben wurden: [link]
Man mag darüber spekulieren, woran das liegt. Mich schert diese Frage am allerwenigsten. Es muß einem in einer Demokratie freistehen, aus gemachten Überlegungen genau KEINE Schlüsse zu ziehen, diesen fehlenden Schlüssen daher KEINEN Handlungsplan nachzureichen und in der Folge NICHT zu handeln, sondern weiterhin vor allem bloß zu sudern.
Ich hab bei meiner einschlägigen Themenleiste im Web (“kunst.rasen“) schon vor einer Weile eine Liste mit Links publiziert, auf der die wichtigsten Quellen zusammengefaßt sind: [link] Im oben erwähnten Artikel zur Lage findet sich folgende Empfehlung:
„Ich weiß, ich weiß, das Lesen kostet Zeit, Zeit ist kostbar. Aber lassen Sie mich phantasieren. Jemand verwendet einen Nachmittag, einen einzigen mickrigen Nachmittag, auf eine flüchtige Lektüre der hier genannten und leicht verfügbaren Dokumente. Zum Beispiel auf einem bequemen Sofa ruhend, zum Beispiel bei Kaffee und Kuchen.
Das würde nach meiner Meinung tatsächlich genügen, um sich kulturpolitisch einigermaßen auf die steirische Höher der Zeit hin zu bewegen.
Zurück zur Frage der Begegnung mit Leuten aus anderen Metiers und zu Fragen der Kooperation. Das ist für mich nämlich eines der Schlüsselwörter, wenn wir a) aus den Posen gebeugter Bittsteller und b) aus den Verknappungen durch jüngste Krisenfälle herauskommen wollen. Kooperation als die Grundlage von Kofinanzierung statt Förderung.
Ich meine, der Begriff Förderung impliziert ein GEFÄLLE, der Begriff Kooperation setzt Augenhöhe voraus. Über welche Fragen und Schritte lassen sich Augenhöhe, Kooperation, folglich da und dort Kofinanzierung erreichen? Das beschäftigt uns zum Beispiel im Arbeitsbereich „Kunst Wirtschaft Wissenschaft“: [link]
Künstler Gerhard Flekatsch hat eben ein Fazit aus unserer zweiten Session zusammengefaßt: „Fliessende Identitäten und veränderbare Beziehungen“ [link] Wir waren davon ausgegangen, daß verschiedene Berufsgruppen permanent mit der Begrifflichkeit „regionale Identität“ laborieren und wollten genauer herausarbeiten, was sichtbar wird, wenn man in diese Geschichte tiefer reingeht.
Flekatsch: „Vom individuellen Selbstverständnis, über unterschiedlichste Identifikationsangebote, die Relativität überlappender Kollektiv-Zugehörigkeiten oder über die Modelle der Konsumation gegenüber der Partizipation, kristallisierte sich immer mehr heraus, dass Identität ein Ensemble von Relationen und ein Prozess ist – dass wir Identität als ständigen Fluss begreifen müssen.“
Fußnote: Hier ist mein Intro als Soundfile von neun Minuten: [link] Das soll deutlich machen, wovon wir ausgegangen sind. Nun bereiten wir gerade die dritte Station vor, die wieder öffentlich zugänglich sein wird.
Es geht mir hier aber noch um ein anderes Gefälle als bloß das soziale zwischen Kulturleuten und jenen aus übrigen Metiers. Jenes zwischen Landeshauptstadt und Regionen, wie es sich nicht nur im Denkschema „Zentrum/Provinz“ ausdrückt, sondern auch in einer Asymmetrie der Mittel und Möglichkeiten. In den letzten Jahren habe ich öfter notiert: „Provinz war gestern!“ Jetzt meine ich, daß wir uns das Wort Provinz zurückholen und es neu konnotieren sollten.
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