Wir haben es nicht kommen gesehen. Als es uns erwischt hat, fielen uns kaum adäquate Reaktionen ein. Ich meine diese Umbrüche. Zuerst haben wir gesehen, wie eine Industriegesellschaft ihre Blue Collar-Jobs verliert, da war das Handwerk schon entwertet. Dann wurden wir, in der Entwertung von Industrie-Jobs, zur Wissensgesellschaft, von manchen etwas schlampig als Informationsgesellschaft verstanden. (Den essentiellen Unterschied zwischen dem Erwerb von Information und dem Erwerb von Wissen muß ich nun hoffentlich nicht erläutern.)
Die letzten 20 Jahre waren davon geprägt, daß die Wissensarbeit ebenso entwertet wurde, wie vor ihr die Industriearbeit und vor der das Handwerk; bei gleichzeitig rasendem Anstieg an Content-Bedarf. Das Angebot mußte demnach angehoben werden, die Preise gingen runter. Verblüffend!
Mir ging das durch den Kopf, weil gestern eine Künstlerin im Web 2.0 schrieb: „bücher machen ist horror!!!“ Das ist in meinen Ohren ein entsetzliches Statement. Ich liebe Bücher.
Das Machen von Büchern gehört zu den magischen Handlungen unserer Kultur. Natürlich nicht in der Form einer Massenproduktion. Aber kleine Editionen zu realisieren, das sind außergewöhnliche Erfahrungen.
Kleiner Einschub:
Ich gehe selbst gerade mit Kollegen in das Finish einer Print-Publikation, die viel Arbeit gemacht hat. Mühen, ja, aber was für ein Prozeß! („Das Puch-Buch„)
Ich hab mir als junger Kerl einen großen Teil der Fertigkeiten angeeignet, die es zum Büchermachen braucht, konnte damals auch eine Offset-Presse bedienen. Ich habe Bücher und Zeitschriften gemacht. Sowohl im inhaltlichen Bereich, was ich heute noch tue, als auch im Anfertigen der Artefakte.
Das ist weit mehr als bloß ein Herstellen von Dingen. Unsere Demokratie beruht auf der Tatsache, daß es Öffentlichkeit und Meinungsbildung gibt, die nicht vom Staat abhängen. Derlei ist nicht ausschließlich, aber sehr wesentlich etwas auf Medienanwendung Gestütztes.
Ich finde es gleichermaßen irritierend, daß man a) das Büchermachen als „Horror“ erleben und desavouieren muß, daß b) seit etlichen Jahren so viele Kunstschaffende vor allem beklagen, was sie tun. (Dann laß es doch! möchte man zurückrufen.)
Was ist uns also mehr eingefallen, denn das Jammern, da wir erlebten, wie die Bezahlung für Contentproduktion so sprunghaft nach unten fiel? Warum war uns offenbar kaum etwas aufgefallen, als die Leute aus Handwerksbereichen und später in den Industriehallen es genau so erlebt hatten? Entwertung. Ich vermute, wir waren zu lange den Annehmlichkeiten einer blühenden Jammerkultur ausgesetzt, um dem von Anfang an entgegenzutreten.
Kürzlich hatte ich eine interessante Debatte, in der es darum ging, daß eine zu massive „Intellektualität“ den Lauf von manchen Dingen blockiere, weil beispielsweise Funktionstragende in den Kommunen nicht die Zeit hätten, sich damit entsprechend auseinanderzusetzen. Der naheliegende Schluß daraus: Wenn ich etwas bewegen will, muß ich es einfacher machen. Muß ich das wirklich?
Diese Überlegung unterschlägt nämlich einen wichtigen Punkt: Was tun, wenn jeder weitere Schritt an Komplexitätsreduktion einem die ganze Sache entgleiten läßt? Ich meine, diesen Modus „einfacher machen“ kenne wir nun in seinen förderlichen Effekten seit wenigstens 25 Jahren, denn das wird ja von zahlreichen Agenturen praktiziert und ist in der Medienwelt sehr populär.
Was hat’s gebracht? Sind Funktionstragende in Summe engagierter und tatkräftiger? Haben Problemlösungskompetenzen allgemein merklich zugenommen? Ist die Bereitschaft, beizeiten Entscheidungen zu treffen und zu handeln, insgesamt gestiegen?
Darauf weist leider nichts hin. Fehlervermeidung durch Entscheidungsvermeidung ist sehr verbreitet. Immer häufiger wird Überregulierung beklagt. Bürokratie nimmt zu, Handlungsspielräume scheinen abzunehmen.
All das vor dem Hintergrund, daß wir eines der teuersten Bildungssysteme Europas haben, dessen Ergebnisse zur Zeit über weite Strecken als erbärmlich gelten müssen. In der Oststeiemark herrscht zur Zeit glücklicherweise noch Vollbeschäftigung, aber in Unternehmerkreisen höre ich, es könnte noch besser laufen, wenn man die Anzahl der Fachkräfte hätte, die gebraucht würden. Das gelingt uns schon etliche Zeit nicht mehr so sehr; unseren Kindern adäquate Bildungswege einzurichten.
Ich soll es den Funktionstragenden leichter machen, einfacher formulieren? Tut mir leid, Leute, dieser Weg hat sich nicht bewährt. Ihr werdet Euch anstrengen müssen, um a) komplexere Zusammenhänge besser erfassen zu können und b) Eure Arbeitsabläufe so zu ordnen, daß wieder mehr Zeit bleibt, sich mit kniffligen Sachverhalten ausreichend intensiv zu befassen.
Wir haben all die Heilsversprechen der Simplifizierungs-Branche längst als Postwurfsendungen erhalten, daß unsere Briefkästen überquollen. Wir haben all die Phrasen gehört, die gequirlten Reden, die knackigen Botschaften, wir haben die glänzenden Renderings gesehen, die so tun, als würden sie uns die Mühe abnehmen, aus Information Wissen zu machen.
Genau DAS ist einer der entscheidenden Punkte: Aus Information Wissen zu machen. Ein höchst anspruchsvoller Vorgang, der sich, wie Erfahrungen zeigen, nicht an Maschinen delegieren läßt, auch nicht an Agenturen.
Wir haben miterlebt, wie Wissensarbeit immer weniger wert wurde, also immer schlechtere Bezahlung erhielt. Wir sind in einer Situation angelangt, die von Kompetenzverlusten und Stagnation geprägt ist. Tut mir leid! Ich kann es dem werten Publikum nicht einfacher machen. Wenn all das noch billiger werden muß, wird uns das teuer zu stehen kommen. Unter anderem, weil uns dann gut ausgebildete, hoch motivierte Leute aus Ländern, auf die bei uns gerne herabgeblickt wird, um die Ohren fahren werden.
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