Kunstschaffende, Wirtschaftstreibende und Leute aus der Wissenschaft haben eines auf jeden Fall gemeinsam: Die wechselseitigen Klischees sind gut überschaubar. Auf die markantesten Positionen heruntergebrochen bleibt ein spaßiges Stereotypenbündel, das sich komplementär anordnen läßt. Kunstschaffende schauen nur auf sich, Unternehmer schauen nur aufs Geld und Wissenschafter schauen nur in die Luft. Das Ich, das Geld, die Theorie… und die Welt ganz woanders.
Das ist die Art gängigen Unfugs, der Gesellschaften oft nachhaltiger aufbricht, fragmentiert, als manch andere Kräftespiele. Wenn wir nun noch Politik und Verwaltung in die Mischung rühren, kommt unter Hitze und Druck eine Torte á la Operetten-Österreich heraus, die sich zwar in manchen Schaufenstern gut macht, aber schlucken sollte das niemand können.
Wir haben schon vor einer Weile begonnen, uns mit erfahrenen Leuten aus den jeweils anderen Bereichen zu verständigen, um vor allem einmal herauszufinden: Worin decken sich allenfalls unsere Befunde zum Stand der Dinge in unserem Lebensraum?
Das führt erfahrungsgemäß laufend zu Schnittpunkten und es ist in der Folge recht interessant, zu überprüfen, ob sich daraus auch gemeinsame Fragestellungen und womöglich gemeinsame Aufgaben ableiten lassen. Hier ein kleines Beispiel aus der Verständigung Kunstschaffender mit einem Wissenschafter, nämlich Günther Marchner: [link] In einem internen Arbeitspapier zu unserer „Kulturspange“ betont Marchner einen Zusammenhang, der die Wirtschaftswelt berührt:
>>Ich möchte dabei besonders auf die Herausforderungen von ländlichen Regionen hinweisen: Der Wettbewerbsdruck und wirtschaftliche Strukturwandel führt zu einer Polarisierung zwischen Gewinnern und Verlierern. Viele ländliche Regionen erleben eine massive Veränderung (einen Verlust) von Wirtschafts- und Erwerbsmöglichkeiten.<<
Solche Effekte haben etwa zur Folge, daß junge Letzte weggehen, was wir sogar im Kulturbetrieb jenseits von Graz zu spüren bekommen. Oder wie es Marchner ausdrückt: >>Regionen, die diesem Anpassungsdruck nicht gewachsen und nicht in der Lage sind, ihre Potentiale zu nutzen, geraten zunehmend unter Druck. Ein besonderer Indikator dieser Entwicklung ist die Abwanderung von jungen Qualifizierten.<<
Wir stellen fest, daß wir mit solchen Überlegungen auf Themen treffen, wie sich auch von diversen regionalen Managements und Gemeindeverbänden bearbeitet werden. Wenn Wissenschafter Marchner in der Debatte mit Kunstschaffenden zu folgenden Überlegungen kommt, könnten das auch Wirtschaftstreibende, Politik und Verwaltung interessieren:
>>Viele ländliche Regionen brauchen vor allem eine kulturelle Veränderung im Sinne von Öffnung, um zukünftig diesen Herausforderungen besser begegnen zu können und um nicht laufend an Attraktivität zu verlieren. Das Nachdenken, die Reflexion und Auseinandersetzung darüber, was mit ländlichen Regionen, Kleinstädten und Regionen passiert, sollte nicht alleine dem „Markt“ oder jenen wirtschaftspolitischen Strategen überlassen werden, die sich außerhalb der Ballungsräume nur Erholung, Wellness und Natur oder Räume für Ressourcenausbeutung, Transit und Entsorgung gefährlicher Stoffe vorstellen können.<<
Nachdem Kommunen auf dem Lande im Jahr 2010 Kulturbudgets, soweit überhaupt vorhanden, drastisch heruntergefahren haben, beginnt inzwischen da und dort wieder eine Besinnung darauf, welche Aufgaben im Kulturbereich zu bearbeiten wären und was davon einer Kofinanzerung aus öffentlichen Mitteln bedarf. Wir stellen immer noch fest, daß Debatten über ein „Zentrum-Provinz-Gefälle“ der Mittel und Möglichkeiten zwischen Graz und dem Rest der Steiermark nicht zustande kommen. Nicht einmal in unserem eigenen Metier. Bis das möglich ist, haben wir unter uns auf dem Lande auch gut zu tun.
Marchner präzisiert:
>>Wie wichtig – aber weitgehend unberücksichtig – eine Perspektive ist, die sich nicht nur auf urbane Räume/große Städte konzentriert, zeigt die reale Verteilung der Bevölkerung: In Österreich leben knapp 30% der Bevölkerung in Städten mit mehr als 30.000 BewohnerInnen. Dies bedeutet, dass Kulturentwicklung und die Förderung von zeitgenössischer Kunst und Kultur nicht nur in Ballungszentren, sondern auch dort erfolgen sollte, wo die anderen 70% leben.<<
Voila! Da reden wir dann von unserer Arbeit. Die ergibt sich aus einer Summe von Fragestellungen und Aufgaben, über die es quer durch die Steiermark eindeutig mehr Verständigung und Diskurs geben müßte.
Marchner führt aus:
>>Und es sollten die Rahmenbedingungen und Kontexte mitbeachtet werden, in denen der Großteil der Bevölkerung nach wie vor lebt: in Kleinstädten und ländlichen Gemeinden, wenn auch forciert durch eine tendenzielle Abwanderung aus peripheren Gebieten (dazu zählt zum Beispiel die Bezirke Liezen und Murau) und durch ein Wachstum des Umlandes der Städte (zum Beispiel Gleisdorf). Dies bedeutet, dass eine erfolgreiche von Gegenwartskunst auch davon abhängt, inwiefern diese Bedingungen und Zugänge reflektiert und berücksichtigt werden.<<
Das Bündeln von Kompetrenzen und (Themen-) Zugängen aus ganz verschiedenen Tätigkeitsbereichen dürfte dabei ein sehr vielversprechender Arbeitsansatz sein.
[2050: übersicht]
„Regionale Identität: eine Illusion oder unsere Wirklichkeit?“
Konferenz und öffentlich zugängliches Arbeitstreffen
Mittwoch, 25. Januar 2012
Beginn: 18:00 Uhr
[link]