Wir bedenken meist nicht, was für eine komplexe menschliche Leistung IDENTITÄT ist. Damit unterschätzen wir auch leicht eine so simpel scheinende Frage wie: Woher weiß ich nach dem Aufstehen, daß ich der bin, der gestern in’s Bett gegangen ist, um zu schlafen? Das ist eine enorme Integrationsleistung, die Körper und Geist täglich vollbringen.
Mich hat der Aufenthalt auf einer Intensivstation nach einem Verkehrsunfall in dieser Sache das Fürchten gelehrt. Wenn Identität erst einmal zerfällt oder wenigstens massiv angefochten wird, dann bekommt man eine Ahnung, welcher Schrecken in solchen Erschütterungen liegt. Man wird nicht nur mit sich selbst uneins, man kann auch mit anderen keine gemeinsame Realität mehr bewohnen.
Es genügen übrigens markante Schwankungen im Temperaturgefüge unseres Leibes, Abweichungen in den chemischen Ereignissen eines Körpers, und der Verstand kann für ein Weilchen oder länger flöten gehen, womit also Identität in Trümmer zerfliegt.
Ich hab vorhin angedeutet, daß es darum gehe, mit sich selbst eins zu sein und mit anderen eine gemeinsame Realität bewohnen zu können. Das läßt sich zwar mit allerhand Maßnahmen begünstigen. Das kann über Strukturen und Rituale gefördert werden. Aber es ist vor allem eine Integrationsleistung, die laufend von einzelnen Menschen erbracht wird, welche gute Gründe finden, sich einer Idee von „Wir“ anzuschließen.
Wir reden also von komplexen psychischen Prozessen, von soziokulturellen Agenda und von gelingender Kommunikation. Das ist nun nicht die alleinige Domäne von Kunstschaffenden, aber wir haben aus langjähriger Befassung mit Kunst eine Reihe von Kompetenzen entwickelt, die jenseits von Alltagsbewältigung Wege offen halten, um mit Fragen zu diesem gesamten Themenkomplex voranzukommen.