Netzkultur. Das Thema handelt von weit ausladenden Möglichkeiten, der Chance zur Konfusion und von bemerkenswerten Kommunikationsmomenten. Seit das Web weit, gar weltweit ist, seit Webspace fast nichts kostet und der Aufbau von Websites simpel ist, weil sich Laien mit Datenbankgestützten Dateimanagementsystemen behelfen können, sind der MeinungsÄUSSERUNG bei uns sehr geringe Grenzen gesetzt. Die MeinungsBILDUNG bleibt allerdings ein so anspruchsvoller Vorgang wie eh.
Ich erlebe gerade den sehr anschaulichen Fall von einer Art „Guerilla-Marketing“ für spröde Ansichten. In der Sache ließe sich auch das Thema „Troll“ wieder etwas beleuchten. Beides ist für politische Interessierte und für Kulturschaffende interessant, weil sich gerade in unserem Netzkulturbereich, abseits des medialen Mainstream-Betriebes, allfällige Trittbrettfahrerei ganz gut schminken läßt. Das ist ein gleichermaßen amüsantes und bedrückendes Exempel, wie so was gemacht wird.
Ob die Leute, die gerade auf dieser Website gerade in Erscheinung traten, im Sinne der Netzkultur richtige „Trolle“ sind, kann ich aufgrund der Kürze des Ablaufes noch nicht sagen. Aber die zwei Burschen, von denen noch zu erzählen sein wird, würde ich auf jeden Fall als eine Art „Web-Marodeure“ einschätzen. Marodeure sind von „Kampfhandlungen“ beschädigte Leute, die sich in Folge ihrer Schwächung nun nicht mehr gegen den ursprünglich erwählten Feind in Stellung bringen, sondern am Wegesrand auf alles losgehen, was schwächer als sie ist. Oder was sie eben für schwächer halten.
Ich breite also diese Fallgeschichte hier aus, weil es lehrreich sein kann, und wo es nicht lehrreich ist, so wird es gewiß amüsant sein. Ich habe es dabei mit Leuten zu tun bekommen, da erstaunt allein schon, daß es derart verhaltensoriginelle Typen tatsächlich gibt. Nachdem mir in dieser Angelegenheit gerade „Herrenmenschengetue“ nachgesagt wurde, ein sehr ernster Vorwurf, beginne ich bei diesem interessanten Punkt der Geschichte.
Gestern bekam ich auf der Website von „kunst ost“ Nachricht von Safeta Sulic. (Ich bin 38 Jahre alt und wohne in der Schweiz.) Sie schrieb mir: „Demnach wird jeder weitere Besuch hier überflüssig, da sich ein moderner Mensch in zensurierter Umgebung nicht wohl fühlen kann.“
Sie setzte sich also mit mir in Verbindung, um mir mitzuteilen, daß es sich nicht lohne, sich mit mir in Verbindung zu setzen.
Kleiner Einschub: Die ganze Angelegenheit dreht sich um den Ort Srebrenica und um Geschehnisse in dieser Gegend während des letzten Bosnienkrieges, in dem sich serbische, kroatische und bosnjakische Verbände feindlich gegenüber standen. Serbische und kroatische Leute nicht durchgehend, denn die waren einige Zeit auch Alliierte, als Tudjman und Milosevic meinten, sie könnten sich Bosnien und Hercegovina aufteilen. Diese Rechnung hatten sie freilich ohne Bosnjaken gemacht. Also waren sie letztlich wieder Feinde.
Warum schreibt mir also Safeta Sulic. Und warum schreibt sie mir nicht in privater Post? Warum dieses in sich nicht ganz schlüssige Auftreten in der Teilöffentlichkeit unserer Website? Weil sie eine Botschaft hat. Diese Botschaft ist ein wenig für mich bestimmt, vor allem aber für die Welt.
Die Botschaft besagt: „Was nun das Verhalten von der krusche betrifft: es unterscheidet sich durch nichts vom Verhalten unserer Massenmedien während des Krieges. Es ist ein Mix aus Voreingenommenheit, Einseitigkeit, Engstirrnigkeit und völliger Intoleranz. Das durch die Massenmedien verbreitete Bild wird eisern verteidigt, während allen Gegeninformationen sofort der Garaus gemacht wird. Diess Herrenmenschengetue ist wirklich völlig abstossend und passt zu keinem aufgeklärten und zivilisierten Menschen.“
Weshalb diese Heftigkeit? Dem ging eine (öffentliche) Korrespondenz mit zwei Männern voraus, deren Identität mir momentan noch unklar ist. Das Thema ist in Europa extrem unpopulär. Es geht um die erheblichen zivilen Opfer einer bosnjakischen Soldateska a) im Raum Srebrenica und b) im Bosnienkrieg überhaupt. Das Faktum ist unbestreitbar, seine öffentliche Debatte von Problemen umstellt.
Zurück zu Sulic. Mein „Herrenmenschengetue“ ist natürlich nicht gar so leicht belegbar. Voreingenommenheit, Einseitigkeit, Engstirnigkeit und völlige Intoleranz. Man könnte glatt annehmen, ich neige zur Vergnügungssucht, denn gemäß diesem Befund hätte ich (fast) nichts ausgelassen, was einen Autor und Kulturschaffenden in einer zeitgemäßen Kultur-Community erledigen würde.
Die Diagnose der Safeta Sulic beruht gewiß auf einer ausführlichen Lektüre meiner Publikationen. Sie beruht außerdem auf der Tatsache, daß ich kürzlich jene zwei genannten Personen, die mir nicht näher bekannt sind, jeweils zur „Persona non grata“ erklärt habe, woraus u.a. folgt, daß sie auf der Website von „kunst ost“ keine Kommentare mehr posten können.
Diese Situation wurzelt in einem Korrespondenzverlauf der Kommentare zu meiner kleinen Reflexion „fahrten südost #2“ [link] Dem war die Notiz „fahrten südost“ [link] vorangegangen, was alles — die Fahrten und die Reflexionen — mit unserer „Šok alijansa“ [link] zusammenhängt.
Es ist also ein anschauliches Beispiel, wie ein ernstes Thema zu einer Kontroverse führt, in der Leute auf einmal nicht mehr meine Argumente angreifen, sondern mich selbst. Dieser kleine, aber bedeutende Unterschied ist der eigentliche Gegenstand meiner jetzigen Ausführungen, weil uns das in der Gesellschaft, in der Politik und im Kulturbetrieb immer wieder unterkommt. Als Auslöser für Konflikte. Argumentiert jemand
+) zur Sache oder
+) zur Person?
Greift jemand die Argumente eines Opponenten an oder den Opponenten selbst? Weiß jemand Vorhaltungen zu begründen? Können diese Gründe belegt werden, etwa mit Zitaten? Auf welche Arten wird das via Web kommuniziert?
Das sind sehr grundlegende Fragen, deren Erörterung im Netzkulturbereich nützlich sein kann…
[šok alijansa / notes #2: überblick]
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