Was wir haben und was wir können
Der Architekt Winfried Lechner [link] hat mir in einer Debatte über Bauvorhaben einmal gesagt: „Wenn ich nicht weiß, was ich will, wird es teuer.“ Unsere „kunst ost“-Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov [link] kommt ursprünglich aus der Motorenentwicklung. Von ihr kenne ich die Begriffe „Lastenheft“ und „Pflichtenheft“. Nehmen wir noch dazu, was ich in einer bestimmten Frage will, was ich brauche und was ich kriegen könnte, drei verschiedene Kategorien, dann wird erahnbar, wie spannend kulturpolitische Prozesse sein können.
Was immer in Graz geschieht, was immer dort größere Aufwendungen im Kulturbereich mit sich bringt, berührt natürlich auch die Frage, wie sich das dann zur Gesamtsituation des Kulturgeschehens in der Steiermark verhält. Diese Themenstellung ist unpopulär. Sie wirft Verteilungsfragen auf. Denen stellt sich nicht einmal die Grazer „Initiativenszene“ gerne.
Parallel kennen wir das „Fitzcarraldo-Problem“. Aber wir reden nicht darüber. Ich beziehe mich da auf einen bewegenden Film [link] von Werner Herzog. Und auf die Idee, ein Opernhaus in den Regenwald zu bauen. Es muß schon sehr gute Gründe geben, urbane Konzepte in die „Provinz“ zu übertragen.
Wer sich solche Gründe nicht erschlossen hat, wird auf einer teuren Struktur hocken, deren Running Costs einen Großteil verfügbarer Ressourcen fressen, ohne zugleich bei der ländlichen Bevölkerung die erhofften Effekte zu generieren. Es gibt solche Beispiele, wo dann etwa „Wiener Salonkultur“ in die Gegend verpflanzt wird, ohne in die Gänge zu kommen. (Das sind feuchte Träume von Kleinbürgern, als Diskussionsstoff selbstverständlich tabu.)
Und es gibt positive Beispiele, wie etwa den weststeirischen „kürbis“ [link]; aber die sind rar. So ein kontinuierlich gewachsenes Mehrspartenhaus, das einerseits über all die Jahre Kontinuität mit einem höchst relevanten Programm zeigt, andrerseits auch verändernde Wirkung auf das kulturelle Klima der Region hat, muß in der Steiermark nur wenige Vergleiche in Kauf nehmen.
Worauf will ich hinaus? Es ist für mich völlig klar, daß Graz eine Reihe von Einrichtungen hat und haben muß, die in einem Landeszentrum machbar sind und da ihre Wirkungen vorteilhaft entfalten können. Es wäre sinnlos, die „Provinz“ urbanisieren zu wollen, also Konzepte aus dem Zentrum nach draußen zu übertragen. Dabei sind also innovative Schritte Grundbedingung.
Im Gegenzug ist den Leuten im Zentrum eine Pflicht auferlegt. Sie wären kulturpolitisch vollkommen diskreditiert, wenn ihnen nichts weiter einfiele, als die Denkmodelle „Zentrum/Provinz“, wie wir sie aus dem 19. Jahrhundert kennen, im 21. Jahrhundert immer noch zu reproduzieren.
Da müßten also Horizonte aufgehen, zugleich müßten Kulturschaffende jenseits von Graz einigermaßen konsequent an eigenen Konzepten arbeiten, die sich genau nicht an Zentrumskonzepten orientieren. In weiterführenden Prozessen wäre zu erarbeiten, wie sich das komplementär zu einander verhalten könnte.
Es gibt demnach eine kulturpolitische Frage- und Aufgabenstellung zur Klärung, wie sich in kulturellen Dingen Landeszentrum und übrigen Steiermark auf einander beziehen sollen. Wenn nun das Grazer Künstlerhaus neu geordnete Agenda erhalten soll, wenn dereinst womöglich ein „Künstler*innenhaus“ zeitgemäße Wirkung entfalten soll, muß geklärt werden, in welchem Gesamtzusammenhang das Haus die erheblichen Investitionen rechtfertigt. Es muß aber auch zur Sprache kommen, welchen kulturpolitischen Horizont jene haben und bedienen, die gerade Anspruch auf dieses Haus erheben.
Dazu gehört selbstverständlich die Frage, welches Kräftespiel zwischen Zentrum und „Provinz“ das jeweilige Konzept forciert. Der bisherige (öffentliche) Diskurs um die Neuordnung der Künstlerhaus-Agenda handelt davon vorerst eher nicht und ist in seiner Art der Führung selbst ein Ausdruck der Ignoranz solcher Zusammenhänge.
Das belegt alleine die immer noch weitgehend leere Diskussionsplattform im Web [link], während die dazugehörige Mailinglist momentan vor allem zu Terminabsprachen bezüglich eines Arbeitstreffens im Zentrum Graz genutzt wird. Da zeigt sich also erneut eine Zentralisierung des möglichen Arbeitsprozesses. Telekommunikation und Teleworking? Spielt’s nicht!
Überdies fehlt meist ein öffentlicher Diskurs. Was zu erfahren bleibt, ereignet sich auf der Gerüchteebene. Mindestens zwei Formationen, die Ansprüche auf das Haus geltend machen, nämlich die „alten Verbände“ und die Community rund um die IG Kultur Steiermark, haben in ihren Auftritten gefordert, eine Neuordnung der Angelegenheit solle nicht von „geschlossenen Zirkeln“ erwirkt werden.
Bei den Verbänden taucht das implizit auf:
>>Die „Kulturelite“ der Steiermark ist leider der Meinung, die heimischen Künstler, ganz besonders aber die Künstlervereinigungen bzw. deren Mitglieder seien weder sonderlich kreativ noch hätten sie künstlerische Kompetenz.<<
Bei der IG Kultur Steiermark steht es explizit:
>>Wie wird die Bildung von Seilschaften und Lobbyismus verhindert?<<
Lassen wir beseite, daß hier offener Diskurs wieder einmal durch aktive Legendenbildung ersetzt wird, denn wer genau soll denn das sein „die Kulturelite“? Solange Selbstdefinition hauptsächlich durch „Feindmarkierung“ erfolgt, hängt die ganze Geschichte schlaff in den Seilen.
Würden sich Kunstschaffende ausreichend klar machn, daß sie zu den Deutungseliten dieser Gesellschaft zählen (könnten), wären vielleicht auch klare und elaborierte Ansichten da, die sich aus öffentlichen Diskursen ergeben hätten. Dann bestünde in all dem Transparenz. Deshalb wäre das Thema „Seilschaften und Lobbyismus“ natürlich nicht aus der Welt, weil das soziale Phänomene sind, gegen die sich grundsätzlich nur schwer etwas vorbringen läßt.
Aber durch die eben genannten Mittel — öffentlicher Diskurs, klar formulierte Ansichten, Transparenz und ein aktives Selbstverständnis als Teil einer Deutungselite –, durch Mittel, die allesamt ohnehin in unseren Händen liegen, ließen sich nachteilige Aspekte von Seilschaften und Lobbyismus sehr gut ausgleichen. Wir müßten das also bloß tun, statt dessen Mangel zu beklagen.
[Die Debatte: Übersicht]