in meinem milieu „beuyselt“ es gerade wieder heftig. damit meine ich, es ist ein vermehrtes aufkommen von berufungen auf joseph beuys festzustellen. dieses phänomen hat so eine konjunkturen. in den meisten fällen der berufungen ist es angewandte schlamperei.
wir haben bei „kunst ost“ nun schon einige zeit eine kooperationssituation mit kunstsammler erich wolf. der verdreht schnell die augen, wenn man ihm mit diesen schlampigen beuys-auslegungen kommt. wir teilen das anliegen, der gegenwartskunst mehr augenmerk und terrain zu sichern. dabei ist es sehr abträglich, wenn halbgare vorstellungen kolportiert werden, die vor allem zweierlei fördern. sie bedienen den bebend vorgetragenen appell von unsichern leute, doch bitte auch dem metier der kunstschaffenden zugerechnet zu werden. und sie ermutigen die verächtlichen, sich hinter diesem ignoranz-posten einzugraben: „das kann eh jeder!“
ich hab kürzlich in meinem logbuch eva blimlinger, die neue rektorin der akademie der bildenden künste, zitiert: „Mich nervt, dass manche glauben, wenn sie drei Versatzstücke haben, können sie alles. Das lässt sich generell auf die Kunst übertragen: Bestimmte Dinge muss man lernen, als Künstler.“ [link] was spricht bloß gegen solches lernen, gegen das vertiefen in stoffe und das klären von kontext?
wenn es „beuyselt“, geht es meist dabei um den „erweiterten kunstbegriff“ im zusammenhang mit der beschreibung einer „sozialen plastik“ und um eine unterstellung, wonach beuys gesagt haben soll, jeder mensch sei ein künstler; so im sinne von kunstschaffend gleich franz sattler als fotograf, herta tinchon als malerin oder jörg vogeltanz als graphic novelist, so wie ich als autor.
es wäre natürlich völliger unfug, derlei anzunehmen. es wäre mumpitz, jahrzehnte der künstlerischen praxis für unerheblich zu halten und gelegentlich spontanes hineinschnuppern als gleiche kategorie zu deuten. dabei interessiert mich keine idee von erhabenheit oder exzellenz. es geht mir bloß darum, daß ein apfel keine birne ist und daß jede kommunikation in’s leere leäuft, wenn wir uns nicht gelegentlich rückversichern, was denn nun womit gemeint sei.
ich bin keineswegs eine autorität in der beuys-exegese, aber das getraue ich mich herzusagen: so hat es beuys keinesfalls gemeint, daß alle menschen künstler seien, sondern bloß, und das ist ja brisant genug, daß sie welche sein könnten. in einem der überlieferten gespräche (beuys, kounellis, kiefer und cucchi) heißt es etwa: „Wenn Du ein waches Auge hast für das Menschliche, kannst Du sehen, daß jeder Mensch ein Künstler ist“, was ja ganz offenbar ein nachdenken über die conditio humana ausdrückt, also auch über menschliche POTENZIALE.
hier geht also generell um möglichkeiten der menschen und um quellen, aus denen zu schöpfen ist, auch um die frage, was denn die kunst und was künstlerische praxis sei. das rechtfertigt keinen umkehrschluß im sinne von: „alle menschen sind künstler“.
kürzlich habe ich eine veranstaltung erlebt, da wurden vor dem publikum einige leute zusammengesetzt, um ein thema zu diskutieren. dieses setup wurde zur „sozialen plastik“ erklärt und die moderatorin betonte mehrmals, daß sie, um diese aufgabenstellung zu verstärken, die gemeinten personen wie eine „reihe von perlen“ beinander halten würde.
es machte deutlich, hier wurde beuys recht schlampig so gedeutet, daß etwas herzustellen sei, was dann als „soziale plastik“ gelten dürfe, nämlich jenes grüppchen vor em publikum und die kommende debatte. ich kenne keinen hinweis, der uns nahelegt, das herstellen von etwas bestimmten könne eine „soziale plastik“ ergeben. es ist doch eher so, daß „soziale plastik“ etwas sehr viel größeres und grundlegenderes meint, etwas gesamtgesellschaftliches. in diesem sinn kann ich als künstler zwar beiträge zur „sozialen plastik“ erbringen, aber nicht ihr autor, ihr urheber sein.
ich denke, es ging beuys dabei um einen gesamten sozialen „organismus“, der (mit-) zu gestalten sei. es ist natürlich auch „gebeuyselt“, wenn ich behaupte, daß jede handlung politische relevanz habe. es weist allerhand darauf hin, daß es angemessen sein mag, in küntlerischer praxis da und dort im sinne beuys’ zu handeln, doch sich explizit auf ihn zu berufen halte ich für eitlen unsinn und eine überflüssige übung.
da mein werk und mein tun ohnehin auf den vorleistungen anderer beruhen, ist die referenz fast unausweichlich. im 20. jahrhundert haben etwa duchamp, warhol und beuys derart enormen einfluß auf die welt der (westlichen) kunst gehabt, daß mir scheint: man müßte ihren konsequenzen schon ziemlich bewußt und angestrengt ausweichen, um NICHT da und dort zu ihnen in tradition zu stehen.
das beliebte und geschwätzige „beuyseln“ hat was von den logos der sponsoren auf rennfahrzeugen, wie es dann die stutzer im alltag imitieren, wenn sie ihre golfs und audis mit markenzeichen dekorieren, um anzudeuten, daß sie schnelle und professionelle fahrer seien. nun erkennt man den schnellen und professionellen fahrer hauptsächlich an seinem fahrstil, da bedarf es keiner inszenierung. die logo-wirtschaft ist entbehrlich.
das ist dann auch in der kunst so. sie merken es gelegentlich an den einladungstexten zu vernissagen, wo sich leute hinreißen lassen, jeden gehabten sommerkurs aufzulisten, jede unerhebliche ausstellung in der letzen bankfiliale der hintersten provinz. legitimations-schinderei.
die komplexität von beuys’ werk hat eine dimension, die mich eher scheuen ließe, mich darauf öffentlich zu berufen. man muß ganz schön hoch springen können, um sich aus solchem schatten herauszubewegen. das übliche gehüpfe bringt einen da nicht voran.
p.s.:
da ich diese fotos in meinem beitrag verwendet hab: ich erinnere mich an einige sessions mit robert adrian x: [link]
hat er dabei beuys je explizit erwähnt? von sich auch nicht. bob hat allerdings ausgedrückt, daß ihm beuys und dessen auffassung von den zusammenhängen der kunst und der politik wichtig seien.
zum beispiel durch das tragen der kappe mit der aufgestickten ju 87, jenem „stuka“, in dem beuys 1944 während eines schneesturms auf der krim abgestürzt war. bob’s werk ist von beuys’ arbeit sicher markant beeinflußt. kein grund, das vor sich herzutrompeten… robert adrian x: [intelligent machines] [Zero – the art of being everywhere] [Deja Vu]
Pingback: was ist kunst? #20 | kunst ost
Pingback: ja, ja, ja, ja, ja. nee, nee, nee, nee, nee | kunst ost
Pingback: Wovon handelt Kulturpolitik? #22 | kunst ost