diese jüngste reise nach beograd ist von einer irritierenden erfahrung geprägt. zwei leute eines künstlerkollektivs machen ihr privates erbe zum ausgangspunkt eines kraftvollen statements gegenüber der kommune und der gesellschaft. einiges geld, ein grundstück, die kompetenzen eines architekten und zahllose handgriffe schufen das haus von „treci beograd“, wie es nun am ufer der donau steht; nahe der pancevo-brücke.
das geschah in tagen, wo alle maßgeblichen museen in beograd geschlossen sind, andere kulturelle einrichtungen, wie etwa „remont“, ihre räume aufgegeben haben. eine gruppe kunstschaffender nimmt sich das mandat, die gegenwartskunst nicht nur persönlich zu vertreten, sondern dieser aufgabe auch eine feste struktur zu geben.
man blickt von diesem ufer aus auf die ränder der alten stadt. lastkähne werden auf dem breiten fluß bewegt. einige gehminuten entfernt schafft eine schwimmende fördernalage kies aus der donau, der oben verarbeitet und per lkw abtransportiert wird.
ursprünglich standen hier bloß hütten als unterstände für fischer. aus den massiven krisen eine postkriegs-gesellschaft hat also die gegenwartskunst in beograd ein neues ufer erreicht. ich hänge da auch emotional tief drinnen. heute werden wir die vernissage einer weiteren station der „virtuosen der täuschung“ erleben. die „kollektiven aktionen“ aus moskau setzen einen weiteren akzent in dieser unserer geschichte des ringens um neue positionen.
neue positionen als kunstschaffende in einer gesellschaft, die nun ein halbes jahrhundert absolviert hat, das eingen teilen europas einen davor nie gekannten wohlstand gebracht hat, der ganzen welt eine mediensituation, deren konsequenzen wir noch gar nicht ermessen können.
in der zeit unmittelbar nach dem zweiten weltkrieg hat der österreichische philosoph günther anders, angeregt durch seine erfahrungen in der amerikanischen gesellschaft, eine medienkritik formuliert, die im kern besagte, wir würden systeme schaffen, deren dimension und komlexität unsere auffassungsgabe übersteige.
die zweite hälfte des 20. jahrhunderts ist eine ära, in welcher die tv-entwicklung und der tv-konsum unsere gesellschaft verändert haben. im letzten jahrzehnt dieses jahrhunderts, anfang der 1990er-jahre, wurde österreich an das tcp/ip angebunden, das internet-protokoll, über welches zahlreiche edv-gestützte netze zu einem weltumfassenden internet zusammengefaßt wurden.
am mittwoch, dem 12. oktober 2011, saß ich mit selman trtovac beim kaffee im „dunavski pirat“. er hatte die deprimierende nachricht gebracht, daß sergej romashko in sehr schlechter gesundheitlicher verfassung sei, deshalb sein kommen absagen mußte. wir sprachen über einige positionen von joseph beuys (siehe dazu: was ist kunst? #20!), mit dessen arbeit sich selman aus seiner zeit in düsseldorf sehr vertraut fühlt. (trtovac war dort schüler von klaus rinke, was eine sehr persönliche verbindung zur arbeit von beuys bedeutet.)
wir debattierten einige aspekte unserer arbeit, notwendigkeiten, bedingungen, optionen. welche art boden ist zu gewinnen? was verlangt es von uns? was bringen wir dafür auf und was tragen wir bei? das 20. jahrhundert liegt nun schon ein gutes jahrzehnt hinter uns. auf selmans weg in diese gegenwart hat sich auch ein brutaler krieg ereignet, der noch einmal alles durchspielte, was europa in fragen der nationalismen und ethnischen konfliktpotenziale an falschen wegen aufzubieten hatte. ich betone hier ausdrücklich: europa, nicht der balkan. in diesem teil der geschichte hängen wir alle drinnen.
worin mir selman zustimmte: der einsame held, der sich in das rad der geschichte wirft, um den lauf der welt zu ändern, ist ein rollenmodell, das sich erledigt hat. dieser typ ist ein wasserträger der tyrannis. wir haben an anderen optionen zu arbeiten.
aber wozu sind kollektive in der lage und was kann kollektive krativität leisten? liegen darin auch emanzipatorische möglichkeiten? denn ist ja unübersehbar, daß demokratische gewaltentrennung im staat sehr durchlässig geworden ist. in österreich gibt es außerdem beklemmende beispiele, wie sich spitzenpolitik der wirtschaft und manchen medien angedient hat.
das leben und die kunst. die kunst und der markt.
wie soll sich all das zu einander verhalten?
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