wir haben bei „kunst ost“ verschiedene themenschwerpunkte. zeitgeschichte und sozialgeschichte spielen dabei eine erhebliche rolle. die agrarische welt ist eines unserer bezugssysteme. blühen und verfall von industriellen komplexen interessieren mich, weil sie gegenwärtige situationen eingefärbt haben.
die krisen-erfahrungen durch kriegshandlungen sind ein eigenes themenfeld, von dem ich bei uns nur mehr symbolische und mentalitätsgeschichtliche präsenzen finden. (doch deren wirkung besteht.)
auf dieser fahrt durch kroatien, serbien und bosnien haben derlei zusammenhänge völlig andere bedingungen. so wie ich es innerhalb der steiermark für unverzichtbar halte, andere regionen konkret zu besuchen, wo sich für uns arbeitsschnittpunkte ergeben, gilt mir das auch für südost-europa.
wir haben für unsere regionale projektarbeit wachsende arbeitskontakte mit leuten aus sehr verschiedenen teilen des vormaligen jugoslawiens vereinbart. eine wichtige voraussetzung dafür sind die realen begegnungen, weil nur so sich jenes lernen ereignen kann, das grundlagen der zusammenarbeit ebnet.
was ich damit meine? die südslawischen leute ticken natürlich in vielem völlig anders als wir. sie haben andere codes, sie sind in allerhand fragen von grundlegend anderen ereignissen geprägt.
soweit ich sehen kann, sind einige jahre der laufenden begegnungen keineswegs zu viel, um eine erste ahnung zu bekommen, worin man sich — jenseits der gefundenen gemeinsamkeiten — auch sehr stark unterscheidet. (ZEIT ist ein WICHTIGER faktor in solchen prozessen.)
in manchen momenten verdeckt die höflichkeit im achtsamen umgang mit einander heftigen dissens. außerdem verfügen wir „schwabos“ gegenwärtig über keine ausreichende vorstellung, was gehabte kriegsgreuel und kolportage, mutmaßungen und hoffnungen zwischen den ethnien angerichtet haben.
drei völker, getrennt duch die gemeinsame sprache, von heftigkeiten erschüttert, für die sich weit weniger rationale gründe finden lassen, als uns allen lieb sein kann.
aber genau DAS ist MEIN europa. erschüttert von seinen komplexen möglichkeiten. verstaubt und aufgerüttelt zugleich. mißgunst und leidenschaft manchmal ineinander verheddert. harte kontraste und tausend optionen.
ich habe hier nur drei von mehreren völkern erwähnt, die einst jugoslawien ausgemacht haben. ich kann mit serben in kroatien nicht über die „albanci“ im kosovo sprechen und um denen gerecht zu werden, müßte es „kosova“ heißen, aber dort sind ja eben erst die konflikte wieder hochgegangen, da reden wir leicht.
kleiner einschub:
ich staune manchmal über kleine details wie daß albanische kosovaren sich selbst „shqiptaret“ nennen, wenn aber serben das phonetisch für mich überhaupt nicht unterscheidbare „siptar“ sagen, dann ließe sich kein übleres schimpfwort finden.
mazedonien wirft als thema offenbar keine konflikte auf und über montenegriner wird freundlich gelächelt. von den slowenen wird praktisch nicht gesprochen, denn wo sind die schon dabei gewesen?
gestern nacht habe ich im zentrum von sarajevo ein feuer vor einer gedenktafel brennen sehen. beides erinnert daran, wie brigaden der serben, bosnjaken und kroaten — „srba, muslimana i hrvata“ — am 6. april 1945 die stadt befreit haben.
dieses andenken wird hier bewahrt, menschen zeigen es ihren kindern und lassen sich davor fotografieren. zugleich sieht man von nahen gassen und plätzen auf die umliegenden hügel, von denen im jüngsten krieg die serbischen kanoniere und scharfschützen auf unbewaffnete menschen gefeuert haben.
die kroaten waren hier einmal mit den serben einig, sich bosnien untereinander aufzuteilen, dann standen sie einander wieder als feinde gegenüber. diese 1990er-jahre sind mehr als verwirrend.
ich ahne zumindest, wie alt manche der ressentiments sind, wenn ich sagen höre: „naja, die kroaten können ihre straßen nur nach einem ban benennen, wir nach einem kralj.“
der ban war etwa ein markgraf, kralj ist das wort für könig, die hierarchie ist klar. aber, wie schon erwähnt, genau DAS ist MEIN europa, so komplex und manchmal zutiefst irritierend. verheerend in seinen ausbrüchen und hinreißend mit all seinen schätzen.
ich kann mir ein kulturelles engagement auf der höhe der zeit ohne solche querverbindungen nicht vorstellen. auch wo es ein ausgewiesen REGIONALES engagement ist, hat es nicht erst durch die junge erfahrung einer globalisierung vieler lebensbereiche diese bedingung: die praxis des kontrastes zu bewältigen.
wir, und das sage ich sehr bewuß: WIR, haben damit schon eine lange, tief in die geschichte reichende erfahrung. unsere kultur ist das ergebnis solcher erfahrungen. gegenwärtige kulturarbeit sollte also bei solcher vielfalt wieder anschließen können.
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