ich hab im vorigen beitrag, der #5 [link], schon angedeutet: ich halte es a) für sehr problematisch und b) für eine fehlinterpretation des begriffes „politik“, wenn wir in der sache ein bipolares setup unterstützen und reproduzieren. eine aufstellung, die quasi ZWEI parteien kennt und einander für konfrontationen gegenüberstellt; nämlich: hier wir, die kulturschaffenden, dort sie, die funktionstragenden der politik. also hier die kultur, dort die kulturpolitik.
erstens ist dieses „wir“ höchst diffus, gutmeinend gedeutet: etwas heterogen. zweitens ist KULTURPOLITIK nicht das, was kulturpolitikerInnen tun, sondern das, was ALLE beiteiligten gruppierungen gemeinsam, durchaus auch im kontrast und im widerstreit, als kulturpolitische situation des landes generieren. wenn schon unterschieden werden soll, dann mögen einmal die kriterien besprochen und formuliert werden.
so kann ich in der praxis doch sehr deutlich zwischen sachpromotorInnen und machtpromotorInnen unterscheiden. außerdem gibt es erhebliche strukturelle unterschiede, die sich aus größe und bevölkerungsart eines ortes ergeben. das landeszentrum, eine kleinstadt, ein dorf, eine großgemeinde, eine kleinregion, das führt zu höchst unterschiedlichen situationen und kräftespielen.
der erste paragraph „Steiermärkischen Kultur- und Kunstförderungsgesetz 2005“ präsentiert uns eine rechtsperson, welche uns gegenüber konkrete verpflichtungen übernimmt und uns kulturelle zielsetzungen anbietet, über die wir, soweit wir uns als sachpromnotoren verstehen, mit machtpromotoren in stadt und land auseinanderzusetzen hätten. paragraph 1, absatz 1 besagt: „Das Land Steiermark als Träger von Privatrechten verpflichtet sich, in der Steiermark oder in besonderer Beziehung zur Steiermark ausgeübte kulturelle Tätigkeiten zu fördern.“
erst in dieser auseinandersetzung, an der ja auch andere deutungseliten teilzunehmen haben, entsteht meines erachtens KULTURPOLITIK; und genau NICHT dadurch, daß funktionstragende der politik tätig werden oder untätig bleiben.
paragraph 1, absatz 2 besagt: „Kulturelle Tätigkeiten im Sinne dieses Gesetzes sind geistige und schöpferische, produzierende und reproduzierende Leistungen sowie die Auseinandersetzung mit ihnen. Kulturelle Tätigkeiten sind unverzichtbar für die Entwicklung der Gesellschaft, geben der Gesellschaft und der Wirtschaft wesentliche Impulse und tragen ein starkes Innovationspotential in sich.“
die schöperischen tätigkeiten, reproduzieren als eine erfahrungsmöglichkeit, der gang auf die metaebene, also reflexion, debatte, auseinandersetzung mit all dem, a) zur selbstvergewisserung, erfahrungs- und entwicklungsmöglichkeit von menschen, b) als quelle von impulsen für gesellschaft und wirtschaft… dankeschön! ich stelle fest, das verständnis dessen, was wir als inhalt und sinn von kulturarbeit gefunden haben, ist inzwischen auch bei den gesetzgebenden instanzen des landes angekommen.
paragraph 1, absatz 2 lautet: „Kultur im Sinne dieses Gesetzes ist ein offener, durch Vielfalt und Widerspruch gekennzeichneter gesellschaftlicher Prozess von kultureller und künstlerischer Produktivität und Kommunikation.“ dazu paßt auch der vierte punkt des absatz 4 ganz gut, welcher eines der ziele dieser kulturförderung nennt: „eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit;“
ich verzichte nun auf weitere zitate aus dem gesetz. es durchzulesen macht keine große mühe. sie finden es hier: kultur- und kunstförderungsgesetz 2005 [link]
ich hab nun mehrfach betont, daß nach meiner auffassung kulturpolitik das ergebnis dessen ist, was verschiedene involvierte gruppierungen und deutungseliten im agieren auf einem gemeinsamen feld als politischen status quo zustande bringen. dabei kommt es freilich vor, daß alteingesessene funktionärskreise eine entwicklung von der basis her anfechten und abzuzbrechen versuchen.
ich hab das zwischen 2008 und 2010 auf kuriose art erlebt, daß sich politik und verwaltung der stadt weiz gegen ein privates kulturprojekt u. a. mit folgenden argumenten stellten: „Ein künstlerischer Leiter (Herr Martin Krusche) würde alleine oder im engen Kreise bestimmen ‚was‘ Kunst in unserer Region ist und sein sollte. Dadurch wäre der Vernetzung, der Einbringung von Partikularinteressen aller Mitgliedsgemeinden der Region und auch der Vielfalt der Künstler ein Riegel vorgeschoben.“
ganz bemerkenswert ist folgende passage in einem arbeitspapier, das der damaligen landeskulturreferentin bettina vollath vorgelegt wurde: „Die bereits bestehenden Institutionen unserer Region erfüllen im Wesentlichen die Projektvorstellungen des Antragstellers Martin Krusche nach einem Kompetenzzentrum für Kunst und Kultur. Natürlich kann man im Rahmen der Kulturbeauftragten und der Bürgermeister unserer Region diese Kompetenzen noch aufwerten. Das von Martin Krusche angedachte Kompetenzzentrum findet allerdings keinen Zuspruch in unserer Region, weil es große Teile der Kunstschaffenden ausschließt oder nicht zu integrieren vermag.“
daß bedeutet unter anderem, die kommunlapolitik eines einzelnen ortes fühlte sich befugt, für eine ganze region zu sprechen, politik und verwaltung eines einzelnen ortes fühlten sich befugt, ein privat initiiertes, ergo „bottom up“ entstandenes kulturprojekt anzufechten. (details zu diesem „kampfpapier“ gegen ein regionales kulturprojekt finden sie hier: [link])
daraus hatte ich NICHT zu schließen, daß die kulturpolitik in der region auf den hund gekommen sei, sondern daß eine konkrete interessensgruppe innerhalb der regionalen kulturpolitik eine problematische position einnimmt. es hat in der sache noch eine ganze reihe von versuchen gegeben, unser projekt zu entsorgen. das inkludiert rufschädigende schritte im sinne des strafgesetzbuches (§ 111 Üble Nachrede), was freilich einen von immunität geschützen parlamentarier nicht scheren mußte.
pikantes detail am rande, dieses „kampfpapier“ trägt den titel „Protokoll zur Besprechung Kultur-Ost vom 28.10.2009“, ist also – mit seinem vorschlag eines regionale „gegenprojektes“ – sehr dezidiert an unser projekt „kunst ost“ herangeführt worden.
lassen wir beiseite, daß ein erfolg dieser politischen attacke auf unser privates kulturprojekt mich persönlich vorerst einmal ökonomisch ruiniert hätte und daß uns niemand aus der regionalen politik oder landespolitik in dieser kuriosen sache beigestanden hat. es muß ja daran erinnert werden, daß in den programmen „regionext“, „LEADER“ und „lokale agenda 21“, aus denen die kommunen fördergelder beziehen, ausnahmslos das „bottom up-prinzip“ der aktiven bürgebeteiligung als zentraler wert gilt. dieses prinzip wurde eklatant und ausdauernd von funktionstragenden aus politik und verwaltung verletzt.
diese explizite verletzung jener prinzipen, für deren betreuung die kommunen eu- und landesgelder beziehen, zeigt sich allein schon in folgender begründung, ein LEADER-kulturprojekt einstellen zu wollen: „Projekt- und Entscheidungsträger der Kunst- und Kulturregion Weiz-Gleisdorf sollten unbedingt die Städte und ihre Kulturbeauftragten sein.“ deutlichger kann man die ablehnung des „bottom up-prinzips“ und der aktiven bürgebeteiligung wohl kaum ausdrücken.
im fokus der geschichte steht eigentlich, daß wir uns in einer phase der umbrüche befinden, die uns auferlegt, unsere gründe sehr konkret zu nennen und dazu unsere begriffe zu klären. ich habe diesen fall kurz angerissen, weil er unmißverständlich illustriert, daß wesentliche grundsätze des landeskulturförderungsgesetzes, wie es 2005 in kraft getreten ist, bei kommunalen funktions-eliten teilweise überhaupt nicht angekommen sind.
daraus folgt nun keineswegs, daß leute wier ich unter einer schlechten kulturpolitik leiden würden, sondern MEINE auffassung von kulturpolitik steht in kontrast zu DEREN auffassung von kulturpolitik. ich meine, es ist ein konstituierender TEIL von kulturpolitik, sich über solche auffassungsunterschiede auseinanderzusetzen und um einen neuen status quo zu ringen, falls mir der alte anfechtbar erscheint.
damit betone ich ein grundlegend anderes rollenverständnis und schlage ein bipolares setup in der kulturpolitik kategorisch aus. nur wenn sach- und machtpromotoren in nachvollziehbaren prozessen neue modi der kooperation entwickeln, halte ich die anforderungen einer res publica für erfüllt. das wird sich nicht erreichen lassen, indem sich zwei parteien gegen einander in stellung bringen und gegenseitig anbrüllen.