wovon handelt kulturpolitik? #4

wir kennen in österreich seit josef II. die neigung, reformen von oben zu erwarten. der aufgeklärte absolutist als guter vater, welcher die gelegentlich rebellischen kinder zufriedenzustellen weiß. das ist ein österreichischer klassiker. außerdem war der erstgeborene sohn von maria theresia bekannt für seine rege reisetätigkeit, dabei vorzugsweise unerkannt, bestrebt, seine ländereien und untertanen besser kennenzulernen.

na? funkt’s? so mögen wir das. der junge war stilprägend. ich darf das so salopp formulieren, da ich heute älter bin als er geworden ist. und seine frau mama war niemals kaiserin, obwohl ich damit aufgewachsen bin, daß man sie „kaiserin maria theresia“ nannte.

ob das wichtig ist? in einem land, wo sogar viele kunstschaffende auf ihren visitenkarten alle akademischen titel, die verfügbar sind, anführen, sagt das eine menge. diese kulturelle prägung steht uns ab und zu etwas im wege. etwa dann, wenn wir wahrnehmen sollten, daß KULTURPOLITIK kein sache bloß der kulturpolitiker sein kann, also auch die veranwortung für das kulturelle klima und die rahmenbedingungen des kulturschaffens nicht bloß in funktionärshänden liegen können.

mein lieblingsmantra in der sache:
wir haben den begriff POLITIK von zwei verschiedenen kategorien bezogen, von der POLITIKÉ, der „staatskunst“, als dem bereich der funktionstragenden, sowie von der POLIS, dem (vormals städtischen) gemeinwesen, also der zivilgesellschaft. erst im zusammenwirken und wechselspiel dieser beiden sphären ereignet sich politik, so auch kulturpolitik.

es wäre quasi eine „josephinische pose“, die dinge quer durchs jahr einfach laufen zu lassen, weil vor allem wir kunstschaffenden uns ja mit kunst befassen müssen, mit nichts anderem, um uns im krisenfall auf ein simple polarisierung zurückzuziehen: hier wir, dort das kulturpolitische personal.

wir haben so eine polarisierung im augenblick zwischen a) kulturschaffenden, die sich im landeszentrum graz konzentrieren und b) der landesebene unserer formellen kulturpolitik. was an einwänden und vorhaltungen, auch an empörung und protest zu vernehmen ist, hat hauptsächlich die budgetpolitik des landeskulturreferates zum inhalt.

in der aktuellen kontroverse fehlen mir vollkommen:
a) was wir selbst alle quer durchs land an kulturpolitischer entwicklungsarbeit schuldig geblieben sind,
b) welche konsequenzen es gerade jetzt vor allem im ländlichen raum für kulturschaffende hat, daß unzählige gemeidnen nicht einmal kulturbeauftragte haben und
c) daß in eben diesem ländlichen raum kulturbudgets, soweit überhaupt vorhanden, nun weitgehend auf null gesetzt wurden oder nur mehr in hunderter-beträgen vorhanden sind.

der zusammenhang ergibt sich unter anderem aus folgendem umstand: die ländlichen gemeinden haben momentan die allergrößten probleme, ihre sozialkosten zu bewältigen, was unter den betroffenen, also hilfsbedürftigen menschen und deren angehörigen, defintiv einen schock ausgelöst hat.

vor diesem hintergrund geht die bereitschaft, gelder für bereiche der gegenwartskunst zu verteidigen, hier auf dem lande überwiegen gegen null. das bedeutet unter anderem, wir büßen gerade, daß wir
+) a: für keinerlei begriffsklärungen gesorgt haben, wie etwa gegenwartskunst und voluntary arts zwei grundverschiedene kategorien sind,
+) b: bisher eher nicht klar gemacht haben, warum kulturpolitik UND kulturförderung keinswegs bloß dem veranstaltungsbereich gewidmet sein können, sondern in summe beitragen müssen, ein kulturelles geschehen und ein kulturelles klima zu ermöglichen, in dem das raum und praxis findet, was ja auch vom gesetz her sache der kulturförderung ist; ich hab das in beitrag #3 ausführlich beschrieben: [link]
+) c: was nun berufsbilder, unser verhältnis zur marktsituation und unser selbstverständnis bezüglich soziokultureller agenda angeht, zu lange zu viel unschärfe zugelasssen haben.

das spiegelt sich in der situation, die uns übliche kulturbeauftragte der gemeinden zeigen. von einigen ausnahmen abgesehen sind kulturbeauftratge vorsitzende von jenen kommunalen gremien, die über geldvergaben enstcheiden. in der regel wird also in kulturreferaten und gemeindestuben die geldvergabe für den veranstaltungsbereich verhandelt, in größeren gemeinden auch so mancher ankauf. dann handelt reale kulturpolitik meist noch vom repräsentativen akt des eröffnens und damit hat sich die sache.

wir haben genau NICHT darum gerungen, daß landesweit in politik und verwaltung ein verständnis wächst, warum geldvergabe für kofinanzierungen und repräsentation bloß die einfachsten übungen am ganzen sind und warum wir mit einander gefordert wären, nun zu klären, was etwa ortsbezogene UND ortsübergreifende, also regionale kulturpolitik sein und leisten müßte, um jenes kulturelle klima zu fördern und jenes geschehen mitzufinanzieren, die den demokratiepolitischen zielen dienen, auf die wir uns einigen konnten und welche auch in verschiedenen gesetzen nachzulesen sind.

so etwa im steiermärkischen kultur- und kunstförderungsgesetz, das als „Ziele und Aufgaben der Kultur- und Kunstförderung“ unter anderem folgende punkte nennt:
+) „2.: die schöpferische Selbstentfaltung jedes Menschen durch aktive kulturelle Kreativität und die Teilhabe jedes Menschen am kulturellen und künstlerischen Prozess in jeder Region des Landes;“ und:
+) „3.: eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit;“

deshalb muß ich eine kontroverse, die
+) a: nur zwischen landeskulturpolitik und
+) b: kulturschaffenden des landes als eine
+) c: vor allem kontroverse um budgets angelegt ist,
für sehr problematisch, womöglich sogar für verfehlt halten.

ich muß darauf bestehen, den größeren zusammenhang zu erörtern, zu erfahren, zu bearbeiten. und ich muß darauf bestehen, beide aspeke von politik, „polis“ und „politiké“, in wirkung zu finden, und zwar nicht bloß im landeszentrum graz versammelt und auf das landeskulturreferat hin fokussiert, sondern mit einer idee ausgestattet, wie das auf die gesamte steiermark angewandt werden könnte.

[übersicht]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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