ich hab in einem beitrag über kulturpolitik die „freiheit der kunst“ als ein rechtlich verbrieftes kulturelles gut beschrieben: [link] das österreichische staatsgrundgesetz widmet der kunst und deren lehre einen eigenen artikel (17a). ich habe bei der gelegenheit eine reihe anderer gesetzesstellen zitiert, die von gedankenfreiheit, freiheit der berufswahl und ähnlichen anliegen handeln.
nun darf ich zu gunsten von uns kunstschaffenden betonen: wäre die befassung mit kunst bloß ein kulturelles dekorationsgeschäft oder, etwas wichtiger genommen, ein wesentlicher bereich unseres bildungswesens, wäre es kaum nötig, sie per staatsgrundgesetz gegen anfechtungen und einschränkungen zu schützen.
der befassung mit kunst, ob schaffend, vermittelnd oder rezipierend, wird eine besondere soziokulturelle bedeutung beigemessen, die sich auch im kulturförderungsgesetz des landes steiermark [link] ausdrückt. der § 1 hebt das in zwei punkten speziell hervor:
+) 2.: die schöpferische Selbstentfaltung jedes Menschen durch aktive kulturelle Kreativität und die Teilhabe jedes Menschen am kulturellen und künstlerischen Prozess in jeder Region des Landes; und
+) 3.: eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit;
eine sehr interessante referenz findet man diesbezüglich im vorwort jenes buches von niklas luhmann, mit dem er sich im rahmen seiner großen gesellschaftstheorie ganz speziell der kunst widmet, nein, eigentlich nicht der kunst, sonder der gesellschaftlichen bedeutung von kunst. daß luhmann dieses buch, nämlich „die kunst der gesellschaft“, geschrieben hat, „liegt nicht an besonderen Neigungen des Verfassers für diesen Gegenstand, sondern an der Annahme, daß eine auf Universalität abzielende Gesellschaftstheorie nicht ignorieren kann, daß es Kunst gibt“.
da wir keinen kunstbegriff haben, der durch die zeiten gleich anwendbar wäre, wandelt sich auch stets, was mit „freiheit der kunst“ gemeint wird. in der antike wurde zwischen „freien künsten“ (artes liberales ) und „praktischen künsten“ (artes mechanicae) unterschieden. grob gesagt: zwischen kopfarbeit und handarbeit (einrechnend, daß handarbeit ohne kopfarbeit wohl nicht möglich ist.)
die „praktischen künste“ (téchne) waren solche, die direkt dem broterweb dienten, während die „sieben freien künste“ jene waren, die „eines freien mannes“ für würdig befunden wurden. damit ist jemanden ins blickfeld gewückt, der in einer sklavengesellschaft auf kosten anderer sein leben führte, seine muße pflegte und sich diesen künsten widmete. jemand, der sich also seine erhabenheit bestätigte, indem er die voteile konsumierte und freiheiten genoß, deren grundlagen ihm abhängige erarbeiten mußten.
ich betone das, weil ich daran erinnern möchte, welche sozialen bedingungen die „freiheit der kunst“ einst hatte, auch um darauf hinzuweisen, daß wir gegenwärtig unserer freiheit als kunstschaffende und unsere daraus resultiernden ansprüche auf andere art begründen müssen.
die „sieben freien künste“ waren wenigstens bis zum mittelalter: arithmetik, astronomie, dialektik, geometrie, grammatik, musik und rhetorik. gegenüber den „praktischen künsten“, bei denen kräftig hand angelegt wurde, also körperliche arbeit fällig war, galten die „freien künste“ (mit ihrer betonung geistiger arbeit) als privileg „freier menschen“, was bedeutete, sie waren die angelegenheit sozial gut gestellter männer.
vielleicht ist es dieser soziale aspekt am thema „freiheit der kunst“, welcher noch heute für viele menschen so provokant wirkt. die historische tatsache, daß muße und geistige tätigkeit bei gleichzeitiger freistellung von mühsamer knochenarbeit kleinen kreisen privilegierter vorbehalten waren.
offenbar überlagert dieses motiv immer noch stark jenes grundlegende angebot aus der befassung mit kunst, nämlich geistige freiheit zu erlangen und zu praktizieren, was sogar per gesetz nicht den sozialen eliten vorbehalten ist, sondern allen bügerinnen und bürgern zugebilligt, ja: empfohlen wird.
ich denke, das sind keine agenda der kunst selbst, sondern soziokulturelle agenda ANLÄSSLICH der befassung mit kunst; wie erwähnt: schaffend, vermittelnd und/oder rezipierend.
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