kunst mag auch im stillen gedeihen, ja sogar völlig vom publikum und von der welt abgewandt ihre blüten hervorbringen. aber der kunstbetrieb und der kunstdiskurs verlangen unerbittlich nach öffentlichkeit. kunst, kunstwerke und kunstbetrieb sollten also miteinander nicht verwechselt werden.
als junger kerl war ich von zwei historischen ereignissen im frankreich des 19. jahrhunderts sehr beeindruckt. von balzacs roman „verlorene illusionen“ (in den jahren rund um 1840 verfaßt) und von zolas brief „j’accuse…!“, den er 1898 an den französischen präsidenten faure gerichtet hatte, um politische mißstände, antisemitismus und die verleumdung des hauptmannes alfred dreyfus anzuklagen.
beides handelt unter anderem von fragen nach definitionsmacht und eigenarten des medienbetriebs, auch von der frage nach intellektueller redlichkeit. apropos! zola hat figur und rolle des „intellektuellen“ zwar nicht erfunden, aber gerade mit seinem auftreten in der „dreyfus-affäre“ wesentlich geprägt. demnach darf man sich darunter jemanden vorstellen, der oder die ohne mandat einer etablierten institution in die öffentlichen diskurse eingreift. intellektuelle sind menschen, die sich aus eigenem antrieb öffentlich äußern und gehört werden. das geschieht meist aus anlässen, die kritik hervorriefen.
diese angelegenheit handelt also von jenen „deutungseliten“, welche ich im beitrag #13 erwähnt habe. es geht dabei um a) medienzugänge und b) definitionsmacht; natürlich unter der voraussetzung, daß jemand inhaltlich und rhetorisch gerüstet ist, in öffentliche diskurse einzugreifen. es zählen dabei aber nuancen. so werden beispielsweise die autorinnen und autoren von leserpost in tageszeitungen üblicherweise NICHT diesem feld zugerechtet. (in zeitungen würde man intellektuellen die möglichkeit zu einem kommentar anbieten.)
mich beschäftigt das gerade in folgendem kontext: eine republik, genauer, deren personal, muß sich öffentlicher kritik und öffentlichem diskurs stellen. das steht prinzipiell jeder bürgerin und jedem bürger offen. intellektuelle haben in der regel schon allein aus unserer unmittelbaren kulturellen tradition heraus mehr erfahrung mit dem formulieren und publizieren von kritik. sie haben normalerweise die entsprechenden medienzugänge.
der öffentliche raum ist bei uns – im gegensatz zu medien – eher nicht mit solchen traditionen belegt. „speakers corners“ wie in großbritannien kennen wir nicht. die straße ist bei uns meist der ort von protestbewegungen und demonstrationen, die freilich auch ihre rädelsführerinnen und -führer haben.
aber da es in dieser text-serie eigentlich um KUNST geht, auch um die frage, wo denn von wem verhandelt werde, was kunst sei, beziehungsweise was wir zur zeit etwa unter gegenwartskunst verstehen, möchte ich mich nun auf diesen aspekt konzentrieren.
in manchen winkeln unserer gemeinschaften wird gerne angenommen, kunstschaffende seien vor allem kritisch, nonkonformistisch, ja sogar rebellenhaft. das sind nichtssagende klischees, populäre stereotypen, die sich kaum verifizieren lassen. der „poet und rebell“, dieses motiv ist mindestens in der zweiten republik österreichs praktisch nicht nachweisbar. außerdem wäre rebellisches verhalten a priori keine kategorie der kunst.
was also kunst sei und was die bevorzugten verhaltensweisen von menschen sind, wird zwar individuell so manchen kausalen zusammenhang haben, aber ich bin eher davon überzeugt, daß wir diese bereiche des sozialverhaltens nicht debattieren müssen, wenn wir klären möchten, was sich an kunst zeigt und wie uns kunst begegnet.
aktuelle vorgänge in der steiermark lassen mich annehmen, daß aktionistische projekte, die als protestmaßnahmen gegen vorherrschende politische zustände gedacht sind, als KUNST ausgegeben und gedeutet werden, um das rebellische verhalten … ja was nun? zu konstituieren? zu adeln? zu legitimieren? zu untersteichen?
ich kann nicht erkennen, daß solche aktionen gleich zu einem aktionismus würden, der in einem kunstdiskurs überhaupt erwähnung fände. ich weiß auch nicht, welche flausen aus dem spiel mit künstlerischen methoden KUNST generieren sollen, die neuerdings, so war kürzlich zu lesen, sogar angeblich etwas wie „protest-kunst“ sei. ich hab keine ahnung, was da geschieht, um diese vorstellung auch nur ansatzweise wahr werden zu lassen.
es übersteigt außerdem meine vorstellungskraft, mir die quelle solcher tendenzen auszumalen. warum kann staatsbürgerliche empörung nicht einfach sein, was sie ist, nämlich staatsbürgerliche empörung? warum will sich legitimes protestverhalten als künstlerischer akt ausgeben?
als wir kürzlich im obersteirischen stift st. lamprecht ein arbeitstreffen kulturschaffender aus der ganzen steiermark absolviert haben, führten diverse debatten u.a. zu einem moment, wo ein kollege fragend feststellte, ich sei wohl eher für eine „politische kunst“.
das bin ich nicht. es kann das nach meiner auffassung gar nicht geben. ich bin für eine „kunst-kunst“. aber ich bin sehr für politische kunstschaffende; und zwar genau in dem sinn, wie ich für politisch anwesende bürgerinnen und bürger bin.
das meint kunstschaffende, die in ihrer staatsbürgerlichen anwesenheit immer wieder verstehen, was in der zivilgesellschaft und in den politischen foren vorgeht, die in der lage sind, zu diesen vorgängen eine klare meinung zu haben, bei bedarf diese meinung auch zu äußern.
freilich profitiere ich in diesem wunsch und anspruch aus den erfahrungen, die ich in jahrzehnten künstlerischer praxis aus dieser befassung mit kunst bezogen habe. aber deshalb ist eben nicht meine künstlerische praxis politisch, sondern ich bin es, der künstler und staatsbürger.