im beitrag „was ist kunst? #10“ habe ich einige einwände erwähnt, die ich gegenüber dem kunstbetrieb laufend höre. es wimmelt da inzwischen von leuten, die zwar an kunst auffallend wenig interesse zeigen, die auf dem kunstfeld aber offenbar ein „soziokulturelles kuscheleck“ suchen und, wie ich annehmen darf, einen gewinn an sozialprestige.
in der polemik „über arsch und titten zur schnattergesellschaft“ bin ich einigen möglichen gründen dafür nachgegangen und habe sie in den kontrast zu den optionen jener leute gestellt, die etwas wie ein reges geistiges leben gegenüber dem inzwischen gut eingeführten „tittytainment“ bevorzugen. der begriff „tittytainment“ bezieht sich übrigens NICHT auf die bevorzugten nacktheiten, die berlusconi seiner gefolgschaft vor die nase hängt. ich hab ihn — falls ich mich recht erinnere — aus einem buch des medienkritikers neil postman. der meinte damit ungefähr, daß wir dazu neigen, an den brüsten der unterhaltungsindustrie zu hängen wie ein säugling an der mutterbrust, höchst zufriden, so lange uns da niemand wegstößt.
es kann kein zufall sein, daß mir kürzlich, auf dem weg zu unserem heurigen „april-festival“, ein mann, der sich gerade einmal zu netten bastelarbeiten aufrafft, in einem streitgespräch mit der „freiheit der kunst“ kam. worauf bezog sich das? er fand es ärgerlich, daß wir mit einer themenstellung und titelwahl beim „april-festival“ eben diese von ihm vermutete freiheit einschränken würden.
ich möchte für möglich halten, daß im steigenden druck einer maßlos gewordenen „leistungsgesellschaft“ menschen vor eben diesem druck ausweichen. einige davon versprechen sich anscheinend im kunst-kontext diese erleichterung. wie wäre sonst zu erklären, daß etwa eine frau, die sich in sozialen fragen engagiert und dabei auch auf die straße geht, um da über originelle formen von aktionismus akute fragen zu thematisieren, daß diese frau von sich sagt „ich bin aktionskünstlerin“?
ich habe keine gründe, diese kuriosen überlappungen anzufechten. vielleicht ist das ja auch langfristig ein gewinn für die gegenwartskunst, weil all diese attitüden und aktivismen ja zu erfahrungen mit symbolischen formen führen. das ebnet wege im zugang zur kunst. aber wo ich um konkrete präsentationsformen für künstlerische arbeiten ringe, wo ich den austausch mit kunstschaffenden aus anderen ländern, anderen kulturellen bezugsfeldern suche, ist ein ausmaß an arbeit und geld nötig, wovon mir beides nicht vom himmel fällt. siehe dazu etwa „jenseits der zentren“!
dieses geld läßt sich auf keinem markt erwirtschaften, es muß als eine gesellschaftlche investition in kultur und geistiges klima akquiriert werden. das bedeutet, es muß KULTURPOLITISCH verhandelt werden. und in eben dieser kulturpolitischen verhandlung, die ich mit politik und verwaltung zu führen habe, muß ich a) meine gründe sehr genau nennen können und b) meine gegenüber in den verhandlungen auch überzeugen können. ohne diese möglichkeiten lassen sich gerade jetzt keine budgets mehr gewinnen, um etwa reisekosten und honorare für anregende gäste aufzubringen.
ohne das gelingen dieser verhandlungen würden wir im eigenen schrebergarten verbleiben müssen. viele kulturelle bereiche würden einfach implodieren, in sich zusammensacken, verschwinden. um all dem gegenüber klare positionen zu halten und für ein etwas anspruchsvolleres kulturelles klima eintreten zu können, muß ich sagen könne, was ich eigentlich meine, wenn ich KUNST erwähne.
(die fotos in diesem beitrag stammenn aus der ausstellung „lepus in fabula„ von nikola dzafo im „musuem für zeitgenössische kunst“ in novi sad.)
— [was ist kunst?] —