im vorigen eintrag [link] notierte ich: „ich hab es lieber, wenn die website einigermaßen authentisch abbildet, was wir im ‚real-raum‘ sind und tun. nicht größer, nicht kleiner …“ meine gründe dafür sind politischer art. bei der frage, was denn das sei, „das politische“, hänge ich an der vorstellung, daß leibliche anwesenheit im öffentlich raum ein unverzichtbares fundament „des politischen“ sei. deshalb ist das für mich ein vorrangiges kriterium. (von medial aufgeblähten „realitäten“ halte ich gar nichts.)
es geht um reale soziale begegnung im physischen/analogen raum; da wiederum nicht bloß in privaten, sondern auch in öffentlichen räumen. ich sehe viele von uns kunstschaffenden in einer bewußt gesuchten tradition, die von bürgerlichen salons und von hitzigen debatten an öffentlichen plätzen handelt. wo das nicht so ausdrücklich sichtbar wird, bleibt davon wenigstens ein fragmentchen: der anspruch, öffentlich wahrgenommen zu werden, also ein interessiertes publikum vorzufinden.
bei manchen leuten, mit denen ich in österreich zu tun hatte, ist eigentlich nur dieses fragmentchen, dieser eine anspruch geblieben. ich habe andrerseits seit etlichen jahren mit leuten aus südost-europa zu tun, vor allem aus ländern, die vormals miteinander jugoslawien gewesen sind. da sehen die gewichtungen teilweise ganz anders aus.
am vorabend einer weiteren reise nach serbien habe ich einen text von mirjana peitler-selakov durchgesehen, der einige punkte enthält, die mir hier zum thema passen. vorweg diese passage: „Von einem Künstler, einer Künstlerin, wird heute erwartet, sich in globalen Zusammenhängen erfolgreich durchzusetzen und gleichzeitig lokale und spezifisch ästhetische wie politische Anliegen verstehbar zu machen.“ ein brisanter zusammenhang …
in einem späteren abschnitt schreibt peitler-selakov: „Die klassische Konzeption von Kunstschaffenden im Westen als ‚öffentliche Intellektuelle‘, als Figuren der Aufklärung in einer bürgerlichen Öffentlichkeit, hat definitiv an Aktualität verloren und ist noch von rein historischer Relevanz. Parallel dazu verschwindet auch die Vorstellung von einer bürgerlichen Öffentlichkeit als einem Raum, der von rational-kritisch ausgestatteten Subjekten betreten werden soll. Es gibt ‚die Öffentlichkeit‘ nicht mehr, sondern entweder überhaupt keine Öffentlichkeit oder eine Reihe verschiedener fragmentierter, spezifischen Öffentlichkeiten.“
das rührt an die frage: WER spricht zu WEM mit welcher REICHWEITE? und zwar von welchem ORT aus in welches FELD hinein? darin liegt ferner die frage verborgen: wer erhebt seine stimme nicht? wer wird nicht gehört? dazu paßt die kritische anmerkung: „Parallel wurden klassische bürgerliche Repräsentationsräume durch Märkte ersetzt oder in Konsum- und Unterhaltungsräume umgewandelt.“
entertainment, infotainment und tittytainment als ersatz für den austausch von argumenten? das wohnzimmer mit seiner elektronik-ausstattung als platons höhle? wenn ich netzkultur als ein sinnvolles praxisfeld verstehe, auf dem wir medienzugänge und medienkompetenzen erlangen und praktizieren können, dann heißt das vor allem auch: üben wir meinungsbildung, um eine meinung zu haben. üben wir mediengestützte kommunikation, um eine grundlegende vorstellung zu erlangen, wie diese angebliche „informationsgesellschaft“ funktioniert.
meine eigene erfahrung besagt: das ist heute in vielen bereichen leichter möglich, niedrigschwelliger angeordnet, als noch vor jahrzehnten. ich stand seinerzeit an einer offset-presse, um büchlein zu drucken. digitalprint-anlagen machen das heute einfacher. radiomachen war einst von sehr teuren, nur von experten bedienbaren equipments abhängig. die filmwelt hatte auch sehr hohe zugangsschwellen. das internet gab es noch gar nicht.
die meisten dieser bereiche kann ich heute mit einem preiswerten laptop und etwas peripherie bewältigen. maschinen, die mir selbst zu teuer wären, kann ich zumindest gegen erträgliche gebühren mit meinem zeug ansteuern. wir haben es also einerseits schwerer, weil mainstream-betriebe die medienwelt völlig verändert haben und permanent auf dominanz aus sind. wir haben es aber auch leichter, weil türhüter uns viele zugänge nicht mehr verstellen können.
[NETZKULTUR: der überblick]
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